Apostelgeschichte 3, 1-10
Apostelgeschichte 3, 1-10 unter Berücksichtigung des Evangeliums Markus 7, 31-36
Zwei Heilungsgeschichten
Die Gnade unseres Herrn, Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen
Apostelgeschichte 3, 1-10
1 Petrus aber und Johannes gingen hinauf in den Tempel um die neunte Stunde, zur Gebetszeit.
2 Und es wurde ein Mann herbeigetragen, der war gelähmt von Mutterleibe an; den setzte man täglich vor das Tor des Tempels, das da heißt das Schöne, damit er um Almosen bettelte bei denen, die in den Tempel gingen.
3 Als er nun Petrus und Johannes sah, wie sie in den Tempel hineingehen wollten, bat er um ein Almosen.
4 Petrus aber blickte ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns an!
5 Und er sah sie an und wartete darauf, dass er etwas von ihnen empfinge.
6 Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher!
7 Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest,
8 er sprang auf, konnte stehen und gehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott.
9 Und es sah ihn alles Volk umhergehen und Gott loben.
10 Sie erkannten ihn auch, dass er es war, der vor dem Schönen Tor des Tempels gesessen und um Almosen gebettelt hatte; und Verwunderung und Entsetzen erfüllte sie über das, was ihm widerfahren war.
Liebe Gemeinde,
wir haben heute zwei Heilungsgeschichten gehört.
Eine erzählt von Jesus, der einem Taubstummen die Ohren und den Mund öffnet.
Die andere berichtet von Petrus und Johannes, die einem Gelähmten begegnen und ihn aufrichten – buchstäblich und im übertragenen Sinn.
Wenn wir solche Geschichten hören, wächst bei vielen Menschen sofort ein Wunsch: So möge es auch bei mir sein!
Oder die Frage: Warum bin ich denn noch krank?
Manchmal wird dieser Wunsch auch als Klage geäußert.
Und er ist gut zu verstehen. Denn wer Schmerzen hat oder spürt, dass er nicht mehr so kann, wie er möchte, kennt die tiefe Sehnsucht: „Wenn es doch anders wäre. Wenn ich doch wieder gesund werden könnte.“
Darum berühren die Heilungsgeschichten der Bibel bis heute. Wir identifizieren uns mit den Geheilten, fühlen ihre Freude – und gleichzeitig auch den Schmerz, dass es bei uns selbst vielleicht anders ist.
Markus erzählt von einem Mann, der weder hören noch sprechen kann.
Das bedeutet weit mehr als nur ein körperliches Leiden. Wer nicht hören und nicht sprechen kann, bleibt ausgeschlossen von Gesprächen, von Begegnungen, von Gemeinschaft.
Er lebt isoliert, abgetrennt von dem, was andere verbindet. Viele solcher Menschen ziehen sich zurück. „Ich kann ja doch nichts hören“, sagen manche. Und dann bleibt nur noch Einsamkeit.
„Hören“ hat in der Bibel immer auch eine geistliche Bedeutung. Hören heißt: auf Gott hören. Seine Worte wahrnehmen, die Frieden schenken. Wer nicht hören kann, dem bleibt dieser Zugang erschwert.
Dieser Mann steht in der Menge und geht doch unter. Viele sind da, und er ist nur einer von vielen.
Aber Jesus sieht ihn. Jesus holt ihn aus der Masse heraus. Und das ist für mich eine ganz wesentliche Beobachtung:
Jesus heilt nicht einfach die Massen. Er stellt sich nicht vor eine große Menge, spricht ein Gebet – und plötzlich sind alle gesund.
Nein, die Bibel erzählt von einzelnen Menschen. Es sind viele, die zu Jesus kommen, aber nie alle. Jesus hat nicht die Krankheit an sich aus der Welt geschafft.
Das ist schwer zu verstehen. Warum gerade dieser eine Mann – und nicht alle? Ist das nicht ungerecht?
Aber genau darin liegt eine Botschaft: Jesus sieht den einzelnen Menschen. Er sieht die eine Not, den einen Schmerz, die eine Isolation – und er spricht hinein: „Tu dich auf!“
Heilung beginnt hier nicht zuerst mit der körperlichen Genesung, sondern mit Beziehung. Mit dem Herausgeholt-Werden aus der Masse, mit der Zuwendung.
Und nun die zweite Geschichte: Apostelgeschichte 3.
Wir sind nach Jesu Himmelfahrt. Die Jünger sind zurückgeblieben, und doch wirkt Jesus durch sie weiter.
Ein Gelähmter sitzt an der Tür des Tempels, der „schönen Tür“. Aber sein Anblick ist alles andere als schön. Dort, wo die Menschen eilig in den Tempel gehen, um Gott zu begegnen, sitzt er – abseits, bittend, störend.
Für viele ist er unsichtbar, vielleicht auch lästig.
Doch Petrus und Johannes sehen ihn. Sie bleiben stehen. Sie schenken ihm ihre Aufmerksamkeit.
Er erwartet Geld, doch Petrus sagt die berühmten Worte: „Silber und Gold habe ich nicht. Was ich habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi steh auf und geh umher!“
Und der Mann springt auf. Er geht, er lobt Gott, er ist wieder Teil der Gemeinschaft.
Auch hier ist Heilung mehr als körperliche Genesung. Der Gelähmte wird herausgeholt aus der Rolle des Bettlers, hinein in ein neues Leben.
Und was heißt das nun für uns – für Christen, für Kirche, für unsere Gemeinde?
Wir haben nicht die Vollmacht, Wunder nach Belieben zu wirken. Wir sind keine Magier, und das ist gut so.
Aber wir haben einen Auftrag. Jesus hat uns berufen, Zeugen seiner heilenden Liebe zu sein.
Das bedeutet: Hoffnung wachhalten und erneut wecken. Hoffnung zusprechen.
Es bedeutet, Orte zu schaffen, an denen Menschen erfahren: „Hier werde ich gesehen, nicht übersehen. Hier zählt nicht nur, was mir fehlt, sondern auch, was Gott mir schenken will.“
Heilung im umfassenden Sinn bedeutet: nicht zerrissen sein in Angst, nicht aufgelöst in Schmerz, sondern getragen von der Liebe Gottes.
Doch wir müssen vorsichtig bleiben. Auch Petrus enttäuscht den Gelähmten zunächst: „Was du willst, habe ich nicht.“
Auch wir dürfen nicht den Eindruck erwecken: Bei uns wird alles gut. Wir können keine Illusionen wecken. Nicht jeder wird gesund. Nicht jedes Leid endet, wie wir es ersehnen.
Aber: Wir können begleiten. Wir können die Not wahrnehmen, zuhören, trösten, da sein. Wir können Menschen Gottes Zuspruch zusprechen:
Du bist eingebunden in seinen Bund. Gott kennt deine Sorgen. Er sieht deine Tränen. Und er lässt dich nicht los.
Eine Geschichte aus einem Hospiz hat mich sehr bewegt.
Eine schwerkranke Frau sagte dort:
„Ich werde nicht mehr gesund. Aber ich bin heil geworden. Denn ich habe Frieden geschlossen mit meinem Leben. Ich habe mich versöhnt mit meiner Familie. Und ich spüre: Gott lässt mich nicht los.“
Diese Frau hat keine Genesung mehr erlebt – aber Heilung in einem tieferen Sinn. Heilung in ihren Beziehungen. Heilung in ihrem Inneren. Heilung im Vertrauen auf Gott.
So ist Kirche berufen, Räume zu öffnen, in denen Menschen Heil erfahren können.
Manchmal geschieht das durch ein Gespräch.
Manchmal durch eine Hand, die hält.
Manchmal durch ein Gebet, das getragen wird.
Und manchmal dadurch, dass wir einfach schweigend da sind.
Wir können nicht alles. Aber wir können etwas. Und dieses „Etwas“ ist entscheidend: Wir können Menschen in Berührung bringen mit der heilenden Kraft Jesu Christi.
„Silber und Gold habe ich nicht“, sagt Petrus, „was ich habe, das gebe ich dir.“
Vielleicht ist das genau das, was Kirche ausmacht: Wir können nicht alles geben, was sich Menschen wünschen. Wir können Krankheiten nicht einfach wegnehmen, Schmerzen nicht immer lindern, das Leben nicht vor allen Brüchen bewahren.
Aber wir können das weitergeben, was uns selbst trägt: Christus.
Seine Nähe. Seine Zuwendung. Seine heilende Liebe. Das ist nicht wenig. Es ist mehr, als wir oft denken. Denn da, wo Menschen erfahren: Ich bin gesehen. Ich bin nicht allein. Ich bin gehalten in Gott – da geschieht Heilung schon mitten im Leben.
Und wir dürfen darauf vertrauen: Gott selbst wird einmal vollenden, was hier nur bruchstückhaft erfahrbar ist.
Dann wird niemand mehr übersehen sein.
Dann wird keine Träne ungetröstet bleiben.
Dann wird die Sehnsucht nach Heil nicht mehr offenbleiben, sondern gestillt sein – in Gottes neuer Welt, in der Leben heil und ganz wird.
Bis dahin leben wir von dieser Hoffnung.
Wir teilen sie, wir tragen sie, wir halten sie füreinander wach.
Und in all dem gilt: Christus ist mitten unter uns.
Er richtet auf, er öffnet, er heilt – manchmal sichtbar, oft verborgen, aber immer wirklich.
Amen.

