1.Petrus 5,5b-11
Liebe Gemeinde,
schon häufig habe ich mich gefragt: Was sollen all diese Ermahnungen?
Paulus ermahnt. Timotheus ermahnt. Und auch hier, im ersten Petrusbrief, finden wir eine Ermahnung. Aber woher nehmen sie das Recht, andere zu ermahnen? Und bringt das überhaupt etwas? Oder löst Ermahnung nicht oft eher Widerstand aus?
Wie ist das also mit dem Ermahnen? Und was bedeutet das überhaupt?
Ermahnen gehört in das weite Feld der Erziehung und Bildung. Man möchte, dass ein Mensch sich in eine bestimmte Richtung entwickelt. Als Eltern haben wir eine Vorstellung, wie unsere Kinder einmal werden sollen. Wir wissen, was sich gehört, wir wünschen uns, dass sie ihren Weg finden – und sagen es auch.
„Das ist ein unerzogenes Kind“ – das ist eine traurige Feststellung. Denn ohne Erziehung verwahrlosen Kinder. Deshalb spricht man auch davon, eine gute Erziehung zu genießen – weil sie als Geschenk und nicht als Zwang verstanden werden soll. Aber: Wer von euch lässt sich schon gerne etwas sagen? Kritik ist heutzutage in Verruf geraten. Theoretisch sagen viele: „Kritik ist wichtig.“ Doch in der Praxis erlebe ich oft etwas anderes: Menschen sind tief verletzt, sobald jemand sie auf etwas aufmerksam macht. „Wie nimmt der oder die sich das Recht heraus, mich zu kritisieren?“ Eltern nehmen sich dieses Recht heraus – aus Liebe. Lehrerinnen und Lehrer sollen ihre Schüler fördern – auch durch Kritik. Gute Vorgesetzte und Mentoren übernehmen Verantwortung, indem sie durch Rückmeldung helfen, dass andere wachsen können. Mir fällt auf: Solange die Rollen klar sind und die Kritik vom Wunsch getragen ist, den anderen zu fördern, dann sind Ermahnung und Feedback wichtig – ja, lebensnotwendig.
Aber wie sieht es im Freundeskreis aus – oder in der Gemeinde? Sind da die Rollen noch klar? Wir leben nicht mehr in Zeiten des Römischen Reiches mit seinen festen Machtstrukturen:
Herrscher und Untertan, Sklave und Freier, Mann und Frau, Jung und Alt.
Diese Rollen waren ungleich mit Macht ausgestattet – heute gilt das so nicht mehr.
Wir haben uns während unserer Seniorenfreizeit mit dem Thema beschäftigt: „Leben im Wandel der Zeit – mein Lebenswandel!“ Am ersten Abend sind wir spielerisch durch ein Jahrhundert gegangen: von 1925 bis 2025.
Da ging es um Fragen wie: Wann kam die erste vollautomatische Waschmaschine auf den Markt? Oder: Seit wann kann eine verheiratete Frau in Deutschland ohne Zustimmung ihres Mannes arbeiten? Die Rollen in der Welt haben sich verändert. Aus Diktaturen wurden Demokratien. Die Menschenrechte gelten – Gleichberechtigung und gleiche Rechte für alle.
Zumindest auf dem Papier. Heute sind wir in der Gefahr, dass sich das ändert. Sobald die Sorgen zu groß werden und die Angst auch, werden Menschen autoritär.
Doch wer kann da heute noch ermahnen? Wer darf das Wort erheben – und mit welcher Autorität?
Das sind meine einleitenden Gedanken zum Predigttext, der selbst eine Ermahnung ist.
5b Desgleichen ihr Jüngeren, ordnet euch den Ältesten unter.
Alle aber miteinander bekleidet euch mit Demut; denn Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.
6 So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit.
7 Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.
8 Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.
9 Dem widersteht, fest im Glauben, und wisst, dass ebendieselben Leiden über eure Brüder und Schwestern in der Welt kommen.
10 Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen.
11 Ihm sei die Macht in alle Ewigkeit! Amen.
„Desgleichen, ihr Jüngeren, ordnet euch den Älteren unter.“ Schon dieser Satz weckt in mir Widerspruch. Ich lese „desgleichen!“ – und frage mich: Worauf bezieht sich das eigentlich?
Warum wurde gerade dieser Abschnitt ausgewählt? Er klingt, als käme es nur auf die Jüngeren an.
Und da ist sie: die alte Spannung. „Ihr Jungen, wenn ihr doch nur bewahren würdet, was wir aufgebaut haben!“ Die Jungen kommen schlecht weg – sie seien die Aufrührer, die Veränderer, die, die das Alte nicht ehren. Die Alten sind die Bewahrer, die Wissenden.
So entsteht Spaltung: Jung gegen Alt, Fortschritt gegen Tradition. Und schon in der frühen Kirche war das offenbar ein Thema. Auch unsere Synode hat sich damit beschäftigt: Wie leben wir als Kirche zusammen, wenn die Generationen so verschieden sind?
Und: Wer darf eigentlich noch „ermahnen“? Denn die Jungen sind willkommen – aber oft nur, solange sie keine zu schweren Fragen stellen. Tun sie es doch, folgen schnell die Ermahnungen – manchmal mit Worten, die aus ihrem Zusammenhang gerissen sind.
Doch genau das tut der erste Petrusbrief nicht. Zum Glück steht da das Wort „desgleichen“.
Es verweist auf das, was vorher gesagt wurde – und zeigt: Es geht nicht um ein Gegeneinander von Jung und Alt. Es geht um den Zusammenhalt in der Gemeinde.
Die Ältesten unter euch ermahne ich, der Mitälteste und Zeuge der Leiden Christi, der ich auch teilhabe an der Herrlichkeit, die offenbart werden soll.
Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist. Achtet auf sie, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt; nicht um schändlichen Gewinn, sondern von Herzensgrund, nicht als Herren der Gemeinde, sondern als Vorbilder der Herde.
Mit den Ältesten sind hier nicht einfach die Alten gemeint, sondern die Gemeindeleitung.
Der Brief fragt: Wie wird Gemeinde so geleitet, dass Konflikte gut gelöst werden? Wie kann eine christliche Gemeinde leben, ohne weltliche Machtstrukturen zu übernehmen? Wie kann Leitung ohne Herrschaft geschehen – und Gemeinschaft ohne Chaos? Wi kann so miteinander geredet werden, dass ein gleichberechtigtes Gespräch entsteht? Mit anderen Worten:
Wie wird Kirche so geleitet, dass sie dem Leben Jesu entspricht?
Das war damals eine gewaltige Herausforderung – und ist es bis heute. Denn in den ersten Gemeinden saß ein Sklave neben seinem Besitzer am Tisch des Herrn. Frauen wirkten gleichberechtigt mit, zusammen mit Männern. Schon im Alten Testament begegnet uns der junge David, der den alten Goliath besiegt.
Von Anfang an gehört es zu den Wurzeln des Christentums, dass es weltliche Machtverteilungen infrage stellt.
Darum geht es auch hier am Ende des Petrusbriefes: um die Sorge, dass weltliche Trennungen in die Gemeinde hineinwirken. Denn die christliche Gemeinschaft war und ist etwas Ungewöhnliches – eine Gemeinschaft, die die Welt auf den Kopf stellt. Aber wie kann man so leben, ohne dass Tohuwabohu entsteht? Wenn alle frei sind – gibt es dann noch Ordnung?
Der Brief ringt um die Einheit der Kirche. Und das ist bis heute eine berechtigte Sorge.
Wir wissen: Auch die Kirchen haben Spaltungen gefördert – durch Macht, durch Dogmen, durch Angst. Und doch lebt in ihnen ein Geist, der von einer anderen Gemeinschaft träumt:
Von einer Gemeinschaft, die entsteht, wenn Menschen sich als Mitmenschen begegnen.
Darum ermahnt dieser Brief beide Seiten – Älteste und Jüngere. Nicht nur die einen, nicht nur die anderen. Beide sollen sich an Jesus Christus orientieren. Leitung wie Gefolgschaft – beide sollen von ihm lernen: Demut, Dienst, Menschenliebe.
Und der Brief verschweigt nicht, dass das schwer ist. Denn da gibt es Kräfte, die dagegen wirken. „Euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe.“
Ein starkes Bild. Ob wir nun von „Teufel“ sprechen oder von destruktiven Kräften – wir wissen, wie real das ist: Zwietracht, Machtkämpfe, verletzende Worte, Spaltungen.
Gerade hier in Südafrika wird vom „Teufel“ sehr realistisch gesprochen – als wäre er eine Person, die in das Leben der Menschen eingreift. Ich möchte dazu etwas klarstellen:
Ich glaube nicht an einen Teufel mit Hörnern, der durch die Welt läuft.
Aber ich glaube an zerstörerische Kräfte – an Mächte, die Menschen gegeneinander aufhetzen, Angst verbreiten, Beziehungen zerstören. Das griechische Wort, das hier steht, heißt „diabolos“ – wörtlich: der Durcheinanderwerfer, der Widersacher.
Es geht also nicht um ein Wesen, sondern um das, was Gottes Liebe durcheinanderbringt. Und da wird es konkret: Dieses Böse fällt nicht vom Himmel. Wir Menschen tragen dazu bei. Jeder Christ – ob alt oder jung, ob Leiter oder Gemeindeglied – kann durch sein Verhalten Spaltung nähren oder Einheit fördern. Der Widersacher wirkt dort, wo wir misstrauisch werden,
wo wir stolz sind, wo wir nicht mehr dienen wollen.
Darum schreibt der Petrusbrief: „Seid nüchtern und wacht!“ Wacht über euch selbst, über eure Worte, über euer Verhalten. Wacht darüber, ob ihr der Gemeinschaft dient – oder sie schwächt.
Das Böse gibt es. Aber es ist nicht einfach der „Teufel da draußen“, der schuld ist.
Es liegt auch an uns. Jeder von uns hat Einfluss: Wir können Gemeinschaft zerstören – oder bewahren. Und die gute Nachricht: In Christus haben wir die Kraft, dem Widersacher zu widerstehen.
Für alle gilt: Menschenliebe von Herzensgrund. Respekt und Demut. Dienet einander mit Liebe. Wie groß die Gefahr ist, dass wir selbst zur Spaltung beitragen, zeigt sich überall –
sogar in der Auswahl der Predigttexte. Manchmal werden Verse so stark beschnitten,
dass ihr ursprünglicher Sinn kaum erkennbar bleibt. Selbst das kann unbeabsichtigt Spaltung fördern.
Darum: Lasst uns vorsichtig mit Bibelzitaten umgehen – und den Zusammenhang wahren!
Lasst uns alles tun, um die Einheit der Kirche zu fördern. Das ist die Sorge, die hier in diesem Brief im Hintergrund stehet. Es geht nicht um allerlei Sorgen, sondern um diese konkrete Sorge: die Zukunft der christlichen Gemeinden. „Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch.“ Ja, die Geschichte der Kirche ist voller Brüche. Aber mitten in allem bleibt Gottes Geist lebendig – der uns zuflüstert und begeistert für den Gedanken: Es geht auch anders! Diese Begeisterung ist Gottes Werk. Die Sehnsucht nach Überwindung von Herrschaft und Unterdrückung bleibt – auch ist Gottes Werk. Die Hoffnung, dass Menschen einander mit Würde begegnen, bleibt – Gott bewahrt sie mit uns und für uns. In den biblischen Schriften ist diese Sehnsucht bewahrt und diese Hoffnung eingepflanzt.
Darum: Lasst uns reichlich weiter die Bibel studieren – und uns von ihr ermahnen lassen – zur Einheit. Lasst uns Hände und Herzen öffnen und den Geist der Einheit empfangen –
bei jedem Abendmahl, in jeder Begegnung.
Ja, wie schnell urteilen und spalten wir – doch Christus ruft uns zur Gemeinschaft, die stärker ist als jeder Widersacher. Der erste Petrusbrief erinnert uns: Nicht Spaltung, sondern Gemeinschaft macht Kirche lebendig. Wir alle – ob jung oder alt – haben Einfluss darauf, ob wir dem Widersacher der Spaltung Raum geben oder festhalten an Christus, der uns eint.
Der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

