2014-09-14 - 13. Sonntag nach Trinitatis - Pastor Dr. Christian Nottmeier

(Predigttext: Apg. 6, 1-7)

Liebe Gemeinde!

Glaube ist auch eine Sache der Begeisterung. Und die Begeisterung war groß bei der urchristlichen Gemeinde in Jerusalem. Viel hatten sie gemeinsam überstanden: Das Auseinanderfallen ihrer Gemeinschaft nach der Hinrichtung Jesu, die Wiedervereinigung in der Gewissheit „Jesus lebt!“ nach dessen Erscheinungen. 40 Tage später dann Enttäuschung und Mutlosigkeit nach der Entrückung des Meisters in den Himmel, die durch den stürmischen und feurigen Luftzug des Heiligen Geistes nach etwas mehr als einer Woche in Enthusiasmus verwandelt wurden. Pfingsten wächst die Gemeinde auf einen Schlag von einer kleinen zweistelligen Mitgliederzahl auf gut 3000, so hoch ist die „Taufquote“ an nur einem Tag. Dass dieser Erfolg die Begeisterung noch steigert, ist klar, und so berichtet Lukas in den ersten Kapiteln der Apostelgeschichte vom Leben der Gemeinde in Jerusalem: man ist im Mahl und im Gottesdienst und besonders im gemeinsamen Gebet verbunden, ein im guten Sinne urchristlicher Kommunismus hält alle zusammen. Das soziale Engagement, das gemeinschaftliche Leben der Gemeinde werden ebenso wie die verstörende Botschaft vom gekreuzigten und auferstandenen Jesus von Nazareth zu ihrem Markenkern.


Probleme gibt eigentlich mehr von außen als von innen. Dunkle Wolken ziehen sich zusammen. Die Gemeindeleitung soll sich vor den jüdischen Autoritäten verantworten. Euer Engagement und euer Leben in allen Ehren, so wird ihnen da gesagt, aber von Jesus, dem gekreuzigten Verbrecher, mögen sie doch bitte nicht reden. Das werde unschöne Konsequenzen haben, die keiner wolle. Ein anschließendes robustes Verhör unterstreicht diese Mahnung. Aber der Außendruck schweißt die Gemeinde nur mehr zusammen. Denn Gott muss man mehr gehorchen als den Menschen.


Doch dann, Lukas deutet das in unserem Predigttext vielleicht etwas zu vorsichtig an, gibt es Probleme. Ein Murren erhebt sich in einem Teil der Gemeinde. Also noch kein Proteststurm, keine Petitionen, keine außerordentlichen Gemeindeversammlungen, keine erhitzten Diskussionen. Aber ein Stufe davor: Murren eben, Unzufriedenheit, Getuschel, Gerüchte. So ähnlich wie bei den Israeliten, die mit Mose aus Ägypten hinausgezogen sind, und sich plötzlich nicht mehr ihrer Freiheit erfreuen, sondern sich nach den Fleischtöpfen der ägyptischen Unterdrücker sehnen. Noch nicht wirklich gefährlich, aber auf jeden Fall zu beachten. Stimmungen wie diese verbreiten sich: „Na, man kümmere sich seitens der Leitung doch eher mehr um diese als jene. Das war eigentlich schon immer klar. Na, dieser Gemeindeleiter ist auch mit dem verwandt, außerdem kommen sie ja aus der gleichen Gegend, man merkt das schon an seiner Sprache.“


Offensichtlich hat das Problem mit Gruppenbildungen innerhalb der Gemeinde zu tun. Das ist nicht verwunderlich. Denn je größer eine Gemeinde wird, desto breiter muss sie im religiösen Markt aufgestellt sein. Nicht mehr nur Kleinhandwerker und Fischer mit galiläischem Migrationshintergrund wie die meisten Gemeindeleiter, darunter Petrus und Johannes, tummeln sich jetzt in der Gemeinde, sondern ganz unterschiedliche soziale Schichten. V.a. die Sprache ist plötzlich ein Kriterium: aramäisch sprechende Juden aus Judäa und Galiläa auf der einen Seite, griechisch sprechende Juden aus den gutbürgerlichen Jerusalemer Vororten, aber auch aus anderen Gegenden der griechisch sprechenden Welt. Das bringt Konfliktstoff.


Wachstum führt also bei aller Einheit zu Verschiedenheit und erfordert, klug und umsichtig gemanagt zu werden. Nicht nur Finanzzwänge, Mitgliederrückgang oder einfach der demographische Wandeln stellen Herausforderungen für eine Gemeinde dar, sondern ebenso das Wachstum. Das ist vielleicht ein erster kleiner Trost dieses Textes. Wie gerne malen wir uns die Zeit der ersten Christen auch als eine goldene Zeit, Urchristentum nennen wir das dann. Im Anfang, als alles noch rein und gut und schön war. So, wie es heute eigentlich auch sein sollte, aber nicht ist. Allerdings zeigt sich spätestens beim zweiten Blick, dass nicht alles immer so in Ordnung war. Paulus und Petrus streiten sich heftig, die Gemeinde in Korinth steht kurz vor der Spaltung und auch in der Urgemeinde, die doch alle den Herrn noch vor Augen gehabt haben, gibt es plötzlich Probleme.


Lukas, vermutlich kein direkter Zeuge des Geschehens, versucht den Konflikt deshalb ein wenig zu glätten. Versorgungsprobleme bei der Armenunterstützung sind ihm zu folge das Problem, das dann vorbildlich gelöst wird. So würde ich mir das auch oft wünschen: Die Gemeindeleitung ruft eine Gemeindeversammlung ein. Sie legt die Karten auf den Tisch. Ja, wir sind überfordert mit all den neuen Aufgaben. Wir wollen uns auf unsere Kernkompetenzen beschränken und das ist der Dienst der Wortverkündigung. Wir müssen Aufgaben abgeben. So wird der Versammlung der Vorschlag unterbreitet, ein neues Gremium zu bilden, das die Probleme der Armenfürsorge regeln soll. Und weil alles basisdemokratisch zugeht, macht die Leitung keine vorbesprochenen Personalvorschläge, sondern wartet auf die Reaktion der Gemeinde. Rasch werden sieben Personen bestellt, alle „guten Rufes“ und „voll Heiligen Geistes und Weisheit.“ Die Gewählten werden sodann der Gemeinde vorgestellt, man betet für sie und schließlich führen die Apostel sie durch Handauflegen ein. Das ist ein Vorbild für Konfliktbewältigung in der Gemeinde, zumal die Hierarchie, die Lukas sich vorstellt, gewahrt bleibt. Hier die zwölf Apostel als geistliche Leiter der Gemeinde, zuständig für Gebet und Predigt, dort die Armenpfleger, die sich um die sozialdiakonischen Aufgaben der griechischen Gemeindegruppen kümmern. Wortdienst und Tischdienst: Die Kompetenzen sind neu verteilt, die Strukturen den Herausforderungen angepasst, das Wachstum geht weiter.


Lukas will so auch ein Stück Geschichte der Diakonie in der Kirche erzählen. Unterschiedliche Aufgaben brauchen entsprechende Gaben und Qualifikationen, wenn nur dabei die Einheit im Geist gewahrt bleibt. Die Einführung der sieben Armenpfleger soll das gewährleisten: Vorstellung, gemeinsames Gebet der ganzen Gemeinde und Handauflegung veranschaulichen und schärfen ein, das hier von den Gewählten eine Aufgabe wahrgenommen wird, die der ganzen Gemeinde obliegt. Darin liegt ein wichtiger Hinweis, gerade an einem Sonntag, der mit der Geschichte vom barmherzigen Samariter im Evangelium und den Worten von der Liebe in der Epistel die tätige Nächstenliebe ins Zentrum rückt. Bei aller Ausdifferenzierung von Gaben und Aufgaben bleibt es für das Leben von Kirchen und Gemeinde doch wichtig, dass Wortverkündigung und tätige Nächstenliebe miteinander verbunden bleiben. Gottesdienst und Gebet, das persönliche Zeugnis des Glaubens, die Gemeinschaft der Glaubenden und die tätige Nächstenliebe sind unverzichtbar Merkmale und Kennzeichen von Kirche und Gemeinde. Arbeitsteilung ist nötig, im ausdifferenzierten Sozialstaat sogar unumgänglich. Deshalb sind in Deutschland in den letzten Jahrzehnten Diakonie und Kirche auch institutionell getrennt worden. Wo es früher wie selbstverständlich die Gemeindeschwester gab, gibt es heute Pflegestationen der Diakonie gGmbh. Darin liegt ein Segen, aber ganz sicher auch die Gefahr, das auseinanderwächst, was eigentlich zusammengehört. Die Verantwortung der Gemeinde für diakonisches Handeln hört nicht auf, sie fängt vielleicht erst richtig an, in Kindergärten, Sozialarbeit und Kältehilfe. Verkündigung, Zeugnis, Gemeinschaft und Diakonie sollen ja verbunden bleiben.


Hier in Südafrika ist die diakonische Aufgabe stärker als in Deutschland bei den Gemeinden geblieben. Große nichtstaatliche diakonische Einrichtungen, an die das Diakonische delegiert werden könnte, gibt es nicht. Die Gemeinden suchen sich selbst ihre diakonischen Projekte. Aber auch da ist es nicht damit getan, einfach irgendwohin Geld zu überweisen, sondern sich selbst mit den eigenen Fähigkeiten und Gaben einzubringen. Die Not ist groß, die Chancen aber auch.


Noch einmal zur Apostelgeschichte. Bei Lukas liest es sich so, als sei das Problem gelöst. Wortdienst und Tischdienst werden nicht gegeneinander ausgespielt, als sei der eine wichtiger als der andere. Dafür sorgen weniger die Apostel als vielmehr die eingesetzten Armenpfleger, die wie Leiter des griechischen Gemeindeteils auftreten – wahrscheinlich lag darin auch ein Teil des Konflikts mit den alten Autoritäten der Apostel begründet. Sie verkünden jedenfalls ihren Glauben mit Tat und Wort. Denn sie wissen, dass ihre Tat des Wortes bedarf, und ihr Wort der Tat. Sie beschränken sich nicht auf die Witwenversorgung, allen voran Stephanus. Nicht sein soziales Engagement allein, sondern die damit verbundene Botschaft macht seine Arbeit so erfolgreich – und angreifbar, ja anstößig. Er „tat Wunder und große Zeichen unter dem Volk.“ Der Erfolgsgeschichte des Christentums wurde so ein Weg gewiesen. Stephanus blieb nicht in der comfort zone von Herkunft und Tradition und den Leuten, die man eh schon länger kennt. Nicht, dass er das alles über Bord werfen will. Aber er überwindet die Grenze von Klasse, Sprache und Hautfarbe. Er und seine „Hellenisten“, nicht die Apostel, werden deshalb zur Zielscheibe der jüdischen Tempelautoritäten und er der erste Märtyrer der Gemeinde.


Und wir? Es mag und soll uns erleichtern, dass wir nicht alles tun müssen. Aufgaben können und sollen verteilt und delegiert werden. Das ist gut und richtig so. Aber es müssen gemeinsame Aufgaben bleiben, von denen einen aktiv betrieben, von den anderen im Gebet getragen. Denn Gott zu loben, das ist unser Amt. In allen Bezügen unseres Lebens. Gott baut in uns und mit uns sein Reich, in unserer Zeit, unserem Land und unserer Stadt. Mit den Herausforderungen, die uns unsere Gegenwart stellt. Aber er baut sein Reich in uns und mit uns, für uns und für andere, Gabe und Aufgabe zugleich.

 

Amen.

covid 19

Logo and link provide as required by Government Notice No. 417 of the
South African Department of Telecommunications and Postal Services