2014-08-31 - 11. Sonntag nach Trinitatis - Pastor Dr. Christian Nottmeier

(Predigttext:  2. Sam 12, 1-10.13-14)

Liebe Gemeinde!


Ich darf jetzt die Scherben auflesen. Wir wissen es alle: das passiert, wenn man nicht aufpasst. Handy-Nutzung beim Autofahren ist Halt gefährlich. Es lenkt ab von dem, was vorne geschieht. Wir wissen es, die Kinobesucher, die schnell noch mal auf What´s App sind auch. Geht ja ganz schnell, merkt doch keiner, mir passiert ja nichts – und dann ist das Erstaunen, ja Erschrecken groß. Dem Zuschauer wird ein Spiegel vorgehalten. Nicht um andere geht es da. Plötzlich erkenne ich, dass ich gemeint bin. Auch mit meiner Fehl- und machmal wohl auch Selbstüberschätzung. Mir passiert schon nichts, geht ja ganz schnell und merkt sowieso keiner. Aber wie gehen wir damit um.

 

Unter dieser Perspektive eines Spiegels, der uns vorgehalten wird, möchte ich die Geschichte lesen, die wir gerade auch gehört haben. Möglich, dass das ja sogar der Gegenstand war, über den unsere Kinobesucher gechattet, gemailt und getweetet haben, heute in Hong Kong und damals in Jerusalem.

 

Denn die Nachricht von der Beteiligung Davids an Urias Tod schlug wie eine Bombe ein. Die sozialen Netzwerke überschlugen sich. Sondersendungen. Interviews. Presseerklärungen. Der Skandal verdrängte alles andere. Die üblichen Nachrichten vom Krieg, vom Flüchtlingselend, vom Wetter – sie verloren an Bedeutung. Abend für Abend Talkrunden:

  • Wieso war er eigentlich nicht an der Front? ... Typisch, die da oben machen es sich in ihren Palästen mit zig Schlafzimmern und goldenen Wasserhähnen bequem, die Truppen müssen Hitze und Dreck aushalten.
  • Unglaublich wie viel Geld ihre Garderobe gekostet hat!
  • Hatte Uria wirklich nichts gewusst? ... So wie er sich verhalten hatte, muss er es doch darauf angelegt haben, seine Frau zu demütigen! Warum hatte er sich sonst geweigert, bei ihr zu schlafen?
  • Wollte Uria Rache! Wie dumm kann man sein, um sich an denen da oben rächen zu wollen?
  • Genügt ein Befehl von ganz oben und der kleine Mann hat keine Chance mehr?
  • Wusste Joab eigentlich Bescheid? Wie sehr war der General in die Angelegenheit verstrickt?
  • Überhaupt, was hat sie eigentlich vorher gemacht War sie nicht ...?
  • Wie lange wird er sich noch an der Macht halten können?

 

Der mächtige David auf dem Höhepunkt seiner Macht. Alles war gelungen. Alles! Er war Gesalbter, Herrscher, Sieger, Sänger, König von Juda, König von Israel, Stadtkönig von Jerusalem, Stadtfürst von Ziklag. Die Könige der Nachbarvölker waren seine persönlichen Vasallen. Und er sah auch noch gut aus. Mit den Frauen war es zwar nicht ganz so einfach, aber nun hatte er Batseba. Vergessen wir ihr Vorleben.
David war oben angelangt. Alles war in seine Hand gegeben.
Nun geht der Blick nur noch nach unten: Oh, da unten - die schöne Frau! Ich will sie! Jetzt! Ist zwar nicht richtig, aber das merkt schon keiner. Schließlich bin ich ja König. Ich arbeite so viel, da muss man sich doch mal was gönnen dürfen ...


Alles war in seine Hand gegeben:
Kleine Probleme – seine Truppen regeln das!
Nicht vorhersehbare Zwischenfälle – die Pressesprecher finden eine Sprachregelung!

 

Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm.
Die Gerüchte um den günstigen Tod des störenden Ehemanns waren längst verstummt. Uria war vorschriftsgemäß betrauert worden, Batseba im Palast eingezogen. Ein Sohn war geboren, ein bisschen früh, aber so etwas kommt vor. David, der Gesalbte, der Herrscher, der Sieger, der König residierte hoch oben in seiner Stadt.

 

Der Sturm bricht wie aus dem Nichts los. „Du bist der Mann!“
Der Skandal verdrängt alle anderen Meldungen. Talkrunden im Stundentakt. Wetten werden abgegeben, wer als Bauernopfer herhalten muss. Wird er die Beschuldigung als Unsinn abtun? Werden seine Leute im Ad-hoc-Komitee im Parlament mit ihrer Mehrheit schon alles unter den Teppich kehren? Wird er womöglich sein Ehrenwort geben? Alles wartet auf die Presseerklärung mit den üblichen Worthülsen. Die Presse hat sich versammelt, Liveschaltungen und Eilmeldungen sind in Vorbereitung.

 

David, der Gesalbte, der Herrscher, der Sieger, der König ist sich dessen bewusst. Der Gesalbte, der König weiß: Wer mit dem Aufzug nach oben fährt, wird auch wieder abwärts fahren.
David tritt vor die Kameras: „Ich habe gegen den Herrn gesündigt“.
Der König bekennt sich schuldig. Der König sieht seine Verantwortung. Der König zeigt Reue und sagt nur einen Satz: „Ich habe gegen den Herrn gesündigt“.

 

Das Schuldbekenntnis ist die Sensation. Fassungslosigkeit bei allen. Ein König, der sich nicht aus der Affäre ziehen will. Ein König, der seine Verantwortung nicht abstreitet, sie nicht wegdelegiert, der keine Bauernopfer braucht, der sich der Wahrheit stellt. Das war noch nie da gewesen und wird wohl auch nicht so schnell wieder kommen. Sein Vorgänger Saul hat in einer vergleichbaren Lage dem Volk die Schuld gegeben. Wie es mit ihm endetet, weiß man. Der alte Adam steckt eben in allen, fast allen. David, der Gesalbte bekennt sich. Auf dem Höhepunkt seiner Macht bekennt sich David als schuldig. Es ist ihm gleichgültig, dass der Aufzug nun abwärts fahren wird.

 

Die sozialen Netzwerke überschlagen sich noch einmal. Experten leuchteten in die Seelenlage der Königs aus. Die schwere Krankheit des Neugeborenen habe ihn traumatisiert. Nach einer angemessenen Zeit und durch gute psychologische Betreuung werde das posttraumatische Syndrom abklingen und er wird wieder der vertraute Machtpolitiker werden. Ein paar Paparazzi haben anrührende Bilder geschossen, auf denen man sieht, wie Batseba und David zusammen weinen. Ein paar Insider berichteten, dass er vor Nathan sein Innerstes nach außen gestülpt habe. Der Gesalbte sei vor Gottes Propheten auf die Knie gegangen. Er habe vor Gottes Propheten sein ganzes Leben ausgebreitet. Weinend habe David gebetet und sich selbst so erkannt, wie er eigentlich war.

 

Dann kehrt Ruhe bei David ein, Batseba bekommt endlich den geliebten Sohn Salomo und Nathan darf ihn erziehen. Aber der König, der Herrscher, der Gesalbte, der Sieger hat den Zenit seiner Macht überschritten. Seine Söhne bringen ihn in Bedrängnis und er nun nimmt sich nicht mehr, was er nur mit Gewalt bekommen kann. Nun begnügt er sich mit dem, was Gott gibt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Nun ist er keiner mehr, der um jeden Preis siegen will. Nun nimmt er Verluste hin und wehrt sich nicht mehr dagegen. Nun ist er demütig geworden. Erst nach diesen ganzen Ereignissen wurde er zu dem König, der er sein sollte. Kein König vor ihm hat das getan. Ein gerechter und ein Helfer, ein milder König, dessen Sohn die Tochter Zions sehnlichst erwartete.

 

Bei den sozialen Netzwerke blieb David präsent, aber ganz große Trendthemen kamen nicht mehr von. Die kamen stattdessen von dem, der seinen Thron auf ewig ererbt hat, der in der Davidsstadt sanftmütig einzog und der für uns elendig starb.

 

Jahre später gelangten übrigens die Aufzeichnungen eines Psalms an die Öffentlichkeit, den David gesungen hatte, „als der Prophet Natan zu ihm kam, nachdem er zu Batseba gegangen war“ (Psalm 51,2). Wie ein Virus hat sich der Text verbreitet und wird immer noch geteilt.

So betete David:
Sei mir gnädig, Gott, nach deiner Güte,
nach dem Mass deines Erbarmens tilge meine Freveltaten.
Wasche mich rein von meiner Schuld,
und reinige mich von meiner Sünde.
Denn meine Freveltaten kenne ich wohl,
und immer steht meine Sünde mir vor Augen.
An dir allein habe ich gesündigt,
und ich habe getan, was dir missfällt.
Schaffe mir, Gott, ein reines Herz,
und gib mir einen neuen, beständigen Geist.
Verstosse mich nicht von deinem Angesicht,
und deinen heiligen Geist nimm nicht von mir.
Bringe mir wieder die Freude deiner Hilfe,
und stärke mich mit einem willigen Geist.
(Psalm 51,3-5,12-14)

Gott aber hat ihn und alle erhört, die so beten. Alle, die sich ihrer Selbstüberschätzung bewusst werden, im Großen und im Kleinen. Alle, die nicht auf andere zeigen, sondern zunächst auf sich selbst schauen. Und die dann als Christen erkennen können, dass da einer ist, der ihre Schuld, ihre Verzweiflung, ihre Trennung von Gott für sie trägt. Der zu ihnen sagt: Ich lebe, und ihr sollt auch leben.

Amen.

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