2016-11-13 - Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres - Pastor Dr. Christian Nottmeier

(Predigttext: Röm. 8, 18-23)



18 Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.

19 Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden.

20 Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat –, doch auf Hoffnung;

21 denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.

22 Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick seufzt und in Wehen liegt.

23 Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes.



Liebe Gemeinde!


Seufzen und Hoffnung, davon haben wir eben gehört. Das Seufzen der Schöpfung, das Harren allen Lebens auf Erlösung, Hoffnung auf Versöhnung und Frieden. Gerade jetzt am Ende des Kirchenjahrs liegt – ganz gegen das sommerliche Wetter – der Ton auf der Brüchigkeit unseres Lebens. Das muss man erst einmal aushalten. „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen“, so heißt es in einem spätmittelalterlichen Hymnus, den dann Martin Luther vertont und weitergedichtet hat. Wir versuchen das wegzudrücken. Und doch holt uns das immer wieder neu ein. Nicht nur durch die Bilder von Krieg oder Naturkatastrophen, die über Menschen hereinbrechen und die wir in Zeitungen und Fernsehen vorgeführt bekommen. Wer die Politik in der Welt betrachtet, bekommt den Eindruck: es ist etwas aus den Fugen geraten. Aber wir können das ebenso im Persönlichen wiederfinden. Wir wissen vom Tod lieber Menschen um herum, wir gehen unterschiedlich damit um, gewiss. Und natürlich erwischt man sich auch dabei, dass man diese Gedanken an Tod, an Vergänglichkeit, bei Seite wischt. Und dann sind sie uns plötzlich ganz nahe. Oft auch unbegreiflich. Das geschieht eine Gewalttat in unmittelbarer Nachbarschaft, und man ist nicht nur bestürzt, hat Mitleid, nimmt Anteil. Auch die eigene Lebenswahrnehmung verändert das; man geht in Gedanken die vertrauten Wege, an denen eine solche Tat geschieht und man merkt, wie sich ein Gefühl von Betroffenheit, aber auch eigener Unsicherheit einschleicht.
Ja, mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen.


Auch das gehört zum Leiden, zum Seufzen, von dem Paulus spricht. Er spricht in – durchaus verschiedenen– Bildern von dem, worauf wir hoffen können – und das streng genommen nicht angesichts des Todes (denn der lässt uns nicht hoffen!), sondern angesichts Gottes! Paulus will zur Hoffnung ermuntern, freilich zu keiner ziellosen, sondern zu einer Hoffnung, die Perspektive hat und die sich mit dem Bild verbindet, dass wir alle Gottes Kinder sind. Aber diese Gabe ist eine, die in unserer Welt allzu oft verschüttet, allzu oft missachtet, allzu oft verzweckt und missbraucht wird. Für Paulus freilich gilt eine andere Perspektive: jeder Mensch hat einen verborgenen Glanz, einen, der bei Gott bewahrt wird, bei ihm aufgehoben ist. Gottes Kinder seid ihr – bestimmt zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes


Nur so kann Paulus sich bewahrt fühlen in all den Umbrüchen und Schmerzen, all den Widersprüchlichkeiten seiner Zeit. Er zeigt ein Gottvertrauen, ein Gegründetsein seines Selbstbewusstseins in Gott, dem tatsächlich weder Mächte noch Gewalten, weder Hohes noch Tiefes etwas anhaben kann. Und doch bleibt die Erkenntnis, dass wir das, was unseren Wert bei Gott ausmacht, das, was uns unvergänglich macht, eben nur mit Bilder, mit Hoffnungen, mit Umschreibungen ausdrücken können. Sie können nur andeuten, dass wir uns ein Mehr unseres Lebens, eines Lebens, wo die Tränen in Freude verwandelt und der Schmerz, dieser Riss in unserem Sein, nicht mehr sein wird.

 

Zugleich gilt für Paulus aber auch: Die christliche Hoffnung angesichts des Todes führt nicht etwa zu stiller Zufriedenheit und Selbstgenügsamkeit, schon gar nicht zur innerlichen Weltflucht – sondern bringt uns in die Welt zurück, zu den Menschen, denen die Botschaft von der versöhnenden Liebe Gottes gilt. Darin liegt unsere Freiheit. Wir können diese Leben und diese Welt nicht aufgeben, auch wenn es manchmal nur zu einem mal zaghaften, mal trotzigen „Dennoch reicht“. Wir bleiben verantwortlich für diese Welt, ja bewähren unseren Glauben gerade in der Solidarität mit den Bedrückten und Bedrängten, bewähren sie damit, dass wir das Leid nicht wegwischen sondern benennen, dass wir erinnern und nicht vergessen. Denn auch darin liegt der Weg zur Freiheit.


Und ich sehe zugleich und bewundere dieses gar nicht naive, sondern das Leid sensibel in den Blick nehmende Gottvertrauen, das sich in den Worten des Paulus ausdrückt. Du bist nicht festgelegt auf das, was Menschen aus dir machen, auch wenn sie dir deine Leben, deine Gesundheit, deine Würde nehmen. Bei Gott ist all das bewahrt, wider alle Realitäten dieser Welt und wider die eine bestimmende Erkenntnis: Mitten wir im Leben sind vom Tod umfangen. In Gottes Gedanken sind sie aufgehoben, so dass sie dem Vergessen entrissen sind. Nicht alles ist egal und beliebig. Ja, vielleicht lässt sich das Leben nur so aushalten mit seinen Ungerechtigkeiten und seiner Zerrissenheit: Weil da Sehnsucht nach Ganzheit ist, aus der Verantwortung für diese Welt resultiert. Paulus nennt das Freiheit. Nicht schwärmerisch, sondern höchst realistisch. Weil ich zu Gott gehöre, muss ich mich nicht von der Angst gefangen nehmen lassen, sondern kann mein Leben gestalten, auch gegen die Angst. Denn uns bleiben die Gaben dieser Freiheit: Glaube und Liebe und Hoffnung:
Der Glaube, dass Gott auch im Leid, in der Trauer, in der Angst bei uns ist.


Die Hoffnung, dass Gott uns beisteht im Leben und im Tod.


Die Liebe, die uns Christus zeigt und uns zu Gott und dem Nächsten führt.



Amen.

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