2017-01-22 - 3. Sonntag nach Epiphanias - Pastor Dr. Christian Nottmeier

(Predigttext 2. Mose 33, 12-23)


12 Und Mose sprach zu dem HERRN: Siehe, du sprichst zu mir: Führe dies Volk hinauf, und lässt mich nicht wissen, wen du mit mir senden willst, wo du doch gesagt hast: Ich kenne dich mit Namen, und du hast Gnade vor meinen Augen gefunden.

13 Hab ich denn Gnade vor deinen Augen gefunden, so lass mich deinen Weg wissen, damit ich dich erkenne und Gnade vor deinen Augen finde. Und sieh doch, dass dies Volk dein Volk ist. 14 Er sprach: Mein Angesicht soll vorangehen; ich will dich zur Ruhe leiten.

15 Mose aber sprach zu ihm: Wenn nicht dein Angesicht vorangeht, so führe uns nicht von hier hinauf.

16 Denn woran soll erkannt werden, dass ich und dein Volk vor deinen Augen Gnade gefunden haben, wenn nicht daran, dass du mit uns gehst, sodass ich und dein Volk erhoben werden vor allen Völkern, die auf dem Erdboden sind?

17 Der HERR sprach zu Mose: Auch das, was du jetzt gesagt hast, will ich tun; denn du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen.

18 Und Mose sprach: Lass mich deine Herrlichkeit sehen!

19 Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will ausrufen den Namen des HERRN vor dir: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.

20 Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.

21 Und der HERR sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen.

22 Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin.

23 Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.


Liebe Gemeinde!


„Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“ Was für ein verwegener Wunsch! Wer von uns würde wagen, das auszusprechen? Wer wagte, diesen Wunsch so umwerfend direkt, beinah fordernd vorzubringen, wie Mose es hier tut? Alles ausladende Reden, das wir von Moses Gesprächen mit Gott kennen, alles Verhandeln und Diskutieren konzentriert sich plötzlich auf diesen einen einzigen, ungeheuerlichen Satz: „Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“ Eine Sehnsucht, die in allem Glauben steckt?


In der Krise spricht Mose sein Begehren aus. Der Bundesschluss zwischen Gott und seinem Volk steht auf Messers Schneide. Mose hat auf dem Berg Sinai von Gott die Gebote des Bundes empfangen. Währenddessen machte sich das Volk, das sich verlassen wähnte, ein goldenes Kalb als Götterbild. Bei seiner Rückkehr vom heiligen Berg stürzt Mose angesichts der Abgötterei seiner Leute in ein Wechselbad der Rollen und Gefühle. Er ist hin- und hergerissen. In seinem Amt als Vermittler zwischen Gott und Volk steht er mal mit flehentlicher Fürbitte für sein Volk vor Gott. Dann wieder fährt er als zorniger Strafvollstrecker zwischen die Stämme Israels. Auf dem Höhepunkt der Krise schickt Gott das Volk samt Mose weg von sich, wie ein gekränkter Vater, der mit seinen Kindern nichts mehr zu schaffen haben will. „Geh, zieh von dannen, du und das Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast“ (33,1). Ja, sie sollen ins versprochene Land kommen. Aber ohne Gott. Einen Engel schickt er ihnen mit. Der soll ihnen den Weg bahnen. Aber Gott selbst will nicht mitziehen mit diesem halsstarrigen Volk. Das Volk ist entsetzt. Ohne Gott weiterziehen zu müssen, das wäre die Katastrophe. Ohne diesen Gott wäre dieses Volk nicht mehr dieses Volk. An dieser Stelle tritt Mose vor. Nach allen Regeln der Kunst versucht er, Gott zu überreden. Er möge doch einsehen, dass dies sein Volk sei. Er möge selber auf dem Weg voranziehen; oder die ganze Geschichte abblasen. Man wundert sich: So ungeduldig Gott mit dem abtrünnigen Volk ist, so geduldig versichert er seinem Auserwählten: „Du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen.“ Tatsächlich gelingt es Mose, Gott ein Zugeständnis abzuringen. Und zuletzt rückt der Gottesmann heraus mit dem, was er jetzt braucht in der Krise: „Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“ Es gibt Situationen, da kannst du dich mit weniger nicht zufriedengeben. Da brauchst du Gott selbst; und zwar in höchster Dosierung.


Und Gott? Gott antwortet mit einer atemberaubenden Mischung aus Nähe und Distanz. Zuerst die Nähe: „Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen.“ Diese Güte ist, wörtlich übersetzt, seine Schönheit. Man könnte deshalb auch übersetzen: „Ich werde in meiner Schönheit dicht an dir vorübergehen.“ Gott ist schön. So schön, dass es unsere Sinne sprengen würde, ihr direkt ins Angesicht zu sehen. Aber der Name! Im Namen gibt Gott sich zu erkennen. Im Namen stellt er sich vor und zur Verfügung. Im Namen verbürgt er sich: „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.“ Den Namen nennen, das ist in alter Zeit viel mehr als bloß eine Vorstellung: ‚Ich heiße Soundso.’ Es meint: Du kannst dich immer an mich wenden; ich entziehe mich dir nicht, wenn du mich brauchst. Der Name garantiert Gottes Präsenz. Gott ist in Beziehung. Er ist in Beziehung zu seinen Menschen nah. Darauf kannst du dich verlassen. Damit kannst du überleben. Auch in der Krise. Der Name ist sozusagen der Rockzipfel seiner Herrlichkeit, den wir zu fassen kriegen.
Aber – und nun kommt die Distanz – aber „mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht“. Und doch zieht uns die Sehnsucht genau dahin. Als ahnten wir, dass es letzte Erfüllung nur um den Preis unseres Lebens gibt. Vielleicht ist es so, dass wir das am meisten fürchten, was wir am tiefsten ersehnen; und dass wir das am tiefsten ersehnen, was wir am meisten fürchten. Vielleicht wünschen wir uns etwas, was wir nicht überleben. Und das spricht sich aus in dem Begehren: „Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“
Gott setzt seine nah-distanzierte Antwort hier beispielhaft in Szene. Die Felsspalte in seiner Nähe! Die Hand Gottes davor, die den Menschen schützt. Gott schützt den Mose vor sich selbst. Er lässt ihn so viel sehen, dass er am Leben bleibt. „Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun und du darfst hinter mir hersehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.“
Hinter Gott hersehen dürfen wir. Seine Gegenwart spüren und ihm nachschauen. Da entdecken wir Spuren seiner Schönheit in unserer Lebensgeschichte. Wir entdecken sie in den Lebensgeschichten anderer. Wir sehen sie plötzlich aufleuchten in einem menschlichen Angesicht. Und einmal noch geht Gott für uns an die Grenze des Erträglichen. Da zeigt er seine Schönheit im Angesicht Jesu Christi. Unter dem Kreuz stehen wir ähnlich wie in der Felsspalte mitten in Gottes nah-distanzierter Antwort.


Hilft das dem Mose – hilft das uns? Die Erinnerung an meine vergangene Geschichte mit Gott, an schöne, beglückende Erlebnisse mit der Familie und mit Freunden, die erste Liebe, das erste Kind, all das ist gut und schön. Aber da sind ja auch noch die anderen Erfahrungen, an denen ich fast zerbrochen wäre. Und vor allem: Ich lebe doch jetzt. Was hilft mir da ein Schatz von Erinnerungen? Und die Zusage, dass ich mich immer an Gott wenden kann, bleibt die nicht leer, solange ich nicht sehen kann, was dabei herauskommt?


In diesem Punkt geht es Mose nicht anders als Hiob. Seine Bitte um ein sichtbares Zeichen für Gottes Macht wird ihm nicht erfüllt. Insofern bleibt er mit der Unbegreiflichkeit Gottes allein. Man kann Gott nicht sehen. Gott kann man nicht sehen – wer ihn sieht, d. h. unmittelbar und ungeschützt mit ihm zusammenprallt, der muss sterben. Vor Gottes Diese unheimliche Seite Gottes verschweigen wir heute gerne. Sie passt nicht zu unserem Bild von einem gefälligen Gott. Aber sie gehört zu ihm. Und wir begegnen dieser Seite Gottes auch heute, etwa in einer handfesten Lebenskrise oder in der Erfahrung einer nicht wiedergutzumachenden Schuld, die wir auf uns geladen haben.


Aber das ist nicht alles, was von Gott zu sagen ist, Gott sei Dank. In unserer Geschichte hält Gott seine Hand schützend über Mose, während er mit all seiner Güte an ihm vorüberzieht. Vor der Erfahrung, dass selbst die unendliche Güte Gottes etwas Unheimliches an sich hat, wird er hier bewahrt – und wir in unserem Leben sehr oft auch. Die Abgründigkeit, die zu Gott gehört, müssen viele von uns nicht in ihrer ganzen Tiefe durchleben. Stattdessen bekommt Mose eine schöne Zusage, mit der auch wir etwas anfangen können. Gott sagt zu ihm: „Du darfst nachher hinter mir hersehen.“ Das ist keine billige Vertröstung ist. Manches, nicht alles, erschließt sich erst im Rückblick: In einer Zeit, in der wir an Gott gezweifelt haben oder sogar an ihm verzweifelt sind, da haben wir wirklich kein Licht gesehen. Aber im Nachhinein, manchmal erst nach Jahren, da ist uns ein Licht aufgegangen, was Gott für uns getan hat. Das gibt dann neuen Halt. Zum Gott erkennen gehört eben auch oft das Gott erleiden. Deshalb gehört zum Gebet bei allem Nachdruck und aller Leidenschaft, die wir durchaus da hineinlegen dürfen, doch zugleich immer die andere Seite: „Nicht wie ich will, sondern wie du willst“, oder wie wir im Vaterunser beten: „Dein Wille geschehe.“


Unser menschlicher-allzumenschlicher Wunsch, Gott sehen, Gott anfassen zu können, bleibt also unerfüllbar. Manches können wir erahnen, wie ein Schatten an einem Vorhang. Aber etwas bleibt offen. Etwas harrt noch der Erfüllung. Das wird uns in dieser Existenz nicht zuteil: dass wir Gott schauen von Angesicht zu Angesicht; dass wir Gott vollkommen erkennen, ohne Fragen, ohne Rätselhaftigkeiten. Gott zu erkennen, bleibt eine Aporie, ein Widerspruch.


Jochen Klepper, der von diesem Widerspruch, diesen Ringen mit Gott und seinem Schicksal nur allzu gut wusste, konnte das so ausdrücken:


Gott wohnt in einem Lichte,
dem keiner nahen kann.
Von seinem Angesichte
trennt uns der Sünde Bann.

 

Um dann zu betonen:

 

Und doch bleibt er nicht ferne,
ist jedem von uns nah.
Ob er gleich Mond und Sterne
und Sonnen werden sah,
mag er dich doch nicht missen
in der Geschöpfe Schar,
will stündlich von dir wissen
und zählt dir Tag und Jahr.

 

Um dann daraus eine Gewissheit zu empfangen, die sich nicht beweisen, nicht andemonstrieren lässt, sondern die manchmal vielleicht erst im Rückblick, im Nachsehen deutlich wird:


Nun darfst du in ihm leben
und bist nie mehr allein,
darfst in ihm atmen, weben
und immer bei ihm sein.
Den keiner je gesehen
noch künftig sehen kann,
will dir zur Seite gehen
und führt dich himmelan.


Amen.


 

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