2017-02-05 - Letzter Sonntag nach Epiphanias - Pastor Dr. Christian Nottmeier

(Predigttext: 2 Mose 3, 1-10)


1 Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Wüste hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb.

2 Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde.

3 Da sprach er: Ich will hingehen und diese wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt.

4 Als aber der HERR sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich.

5 Er sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!

6 Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen.

7 Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen, und ihr Geschrei über ihre Bedränger habe ich gehört; ich habe ihre Leiden erkannt.

8 Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie aus diesem Lande hinaufführe in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt, in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter.

9 Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Drangsal gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen, 10 so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.



Liebe Gemeinde!


Mitten im Leben beginnt die große Veränderung. Mitten im Leben, mitten im Alltag, ohne große Vorahnung ereignet sich plötzlich etwas ganz Außeralltägliches. So geht es Mose in dieser Geschichte, die den Beginn seiner Wirksamkeit und seine Berufung zum Anführer des Volkes beschreibt. Gott mitten im Alltag, so dass es Zeit braucht, um ihn überhaupt zu erkennen.


Dabei hatte Mose eigentlich vermutlich gar keine Lust auf Außeralltägliches. Er war ja geflohen, hatte ein bewegtes Leben hinter sich. Als Kind der Israeliten ausgesetzt im Nil. Nur so konnten seine Eltern ihn retten vor den Häschern des Pharaos, der den Tod aller neugeborenen Kinder Israels angeordnet hatte. Das Körbchen, in dem er den Nil entlang trieb, wird ausgerechnet von der Tochter jenes Pharaos gefunden, der ihn eigentlich beseitigen wollen. Und so wächst er – List der Geschichte – als Enkel des Pharaos an diesen Hof auf, wird – obwohl israelitischer Geburt – zu Mose dem Ägypter. Aber er weiß zugleich, dass er ein Israelit ist. Als junger Erwachsener ist er offensichtlich hin- und hergerissen zwischen seinen beiden Identitäten. Was oder wer ist er eigentlich? Der Sohn eines Pharaos? Oder der Abkömmling des Volkes, das in Ägypten versklavt und unterdrückt wird?


Es wird ein Kampf in ihm gewesen sein, eine Zerreißprobe, zwischen zwei Völkern, zwei Ländern, zwei Sprachen. Schließlich muss er sich entscheiden, was mehr impulsiv geschieht. Im Zorn bringt er einen ägyptischen Sklavenaufseher um, der einen Israeliten geschlagen hat. Mose der Mörder, er muss Hals über Kopf fliehen und alles hinter sich lassen. Am liebsten würde das alles vergessen, Ruhe finden, irgendwo neu anfangen. Mose muss fliehen: Er rettet sich ins Ausland. Als Flüchtling taucht er bei Nomaden unter und heiratet die Tochter des Priesters dieser Nomaden. Fortan hütet er die Schafe seines Schwiegervaters. Wenig verheißungsvoll.


Es ist alles andere als ein gradliniger Lebenslauf, keine geplante Karriere, sondern ein Leben in Brüchen, ja eigentlich sogar in Trümmer, bedenkt man, welche Chancen Mose als Ägypter gehabt hätte. Aber es ist zugleich ein Leben, das Gott wahrnimmt, auf das Gott achtet, gerade jetzt, wo Mose vielleicht nicht ganz unten, aber doch zumindest in einer Einbahnstraße gelandet ist, wo es kaum noch Umkehr, allenfalls bescheidenen Neuanfang geben kann.

 

Auch die Religion, die Herkunft aus dem Volk Israel spielt jetzt wohl keine Rolle. Vielleicht will Mose sie eigentlich eher loswerden. Denn auch deshalb ist er hier in der Wüste. Und natürlich, weil er seinen Zorn nicht im Griff hatte. 

 

Andererseits ist Schafe hüten in der Wüste jetzt vielleicht sogar ganz richtig. Kein Identitätskampf, keine großen Fragen, sondern einfach nur Ruhe, damit sich das Chaos des Lebens irgendwann sogar ordnen lässt. Mose muss erst einmal mit seinem Leben klarkommen, seinen Beruf erledigen, seine Familie versorgen. Schafe hüten ist da gar nicht so schlecht. Ihm steht der Sinn nach Ruhe und Schafe hüten, nicht nach Aufbruch und Gottesbegegnung...

 

Es war Zufall, das Mose zum Gottesberg kommt. Vermutlich weiß er gar nichts davon. Eine spirituelle Erfahrung ist das letzte, was er hier will. Er will einfach seine Arbeit machen. Er hütet Schafe. Er sucht Futter.


Wie jeden Tag. So schlicht. So alltäglich.


Und dann, mitten im Alltag kreuzt Gott seinen Weg. Mose bemerkt es erst einmal nicht. Er bemerkt nur ein physikalisches Problem - das mit dem brennenden Dornbusch. Das interessiert ihn. Dafür nimmt er auch einen Umweg in Kauf. „Ich will von meinem Weg abbiegen“ - so heißt es da wörtlich. Festgefahren ist Mose also nicht. Er schaut schon noch rechts und links. Er ist offen, etwas Neues zu erleben, sich mit etwas anderem auseinanderzusetzen. Vielleicht ist da doch noch mehr?


Dass es nun Gott ist, mit dem er sich da auseinanderzusetzen hat, damit kann er nicht rechnen. Nicht mitten im Alltag, an einem ganz normalen Tag.


„Hier ist Gott? Hier bei mir? Heute?“


Wer rechnet denn damit?! Zumal, wenn man gerade äußerlich oder innerlich in der Wüste sitzt und sich eher geparkt fühlt. Dass einem ausgerechnet da Gott begegnet, das kann schon überraschen.
Mose hat manche Erfahrung hinter sich, auf die er ganz gern verzichtet hätte. Er hat an Leib und Seele erfahren, wie zerbrechlich Beziehungen sein können. Er hat schmerzhaft erlitten, wie schmal der Grat zwischen Erfolg und Scheitern ist. Er ist womöglich darüber erschrocken, wie abgründig er ist. Die Dornen, die sieht er nicht nur vor sich, in diesem Busch. Sein eigener Lebensweg ist an manchen Stellen dornig geworden. Dazu hat er selbst auch seinen Teil beigetragen. Und die Situation seines versklavten Volkes: erst recht dornenreich, tränenreich, voller Elend.


Gott redet aus einem Dornbusch, nicht aus einem kraftvollen, wunderschönen Baum. Vielleicht ein Zeichen dafür, dass er an der Not seines Volkes nicht vorbeigeht. Ihn kümmert der dornenreiche Weg der Menschen. Er kommt da mitten hinein, sieht das Elend, hört die Klage. Er nimmt sich das zu Herzen. Er hält sich nicht raus.


Das Feuer ist im Alten Testament oft Zeichen für die machtvolle, herrliche Gegenwart Gottes. Die gehört nicht irgendwo in einen geschützten Raum, abseits dessen, was Menschen erleben und erleiden. Und sie gehört nicht oder nicht nur in prachtvolle Gebäude. Das Feuer, Gottes machtvolle, herrliche Gegenwart, ist genau richtig bei den Dornen. Mitten im Elend. Genau da gehört Gott hin. Genau dort will er sein. Gott ist dort, wo man ihn nur schwer vermutet.


So war es auch später, lange nach den Zeiten des Mose: an Weihnachten. In einem armseligen Stall wird der Heiland geboren. So war es schließlich auch am Kreuz. Da sind sie wieder, die Dornen. Als Dornenkrone des sterbenden, hingebungsvollen Christus. Mitten im Elend leuchtet sie auf: die machtvolle herrliche Gegenwart Gottes. Gott kommt uns nah, wo wir ihn nicht vermuten. Kreuzt unsren Weg, ganz unerwartet. Leuchtet uns auf, wo wir ihn fern glauben.

 

In uns zerbrechlichen Menschen, auf unsren wenig gradlinigen Wegen, zwischen den Dornen ein heller Schein: Licht Gottes. Er selbst. Er selbst ganz nah bei uns. 

 

Nicht, weil er sich zu uns hin verirrt hätte, sondern weil er genau da sein will. Bei uns.


Mose ist von dieser Entdeckung überrascht. Der Mann, der weggelaufen ist und an einem wenig verheißungsvollen Punkt seines Lebensweges angekommen ist - ausgerechnet er wird von Gott beim Namen gerufen. Er ist Gott bekannt, persönlich bekannt. Der Mensch, der hinter diesem Namen steckt, seine Lebensgeschichte mit all den Irrungen und Verwirrungen: Er ist Gott bekannt. Und er liegt Gott am Herzen.


Trotzdem. Mit all dem. So sehr, dass Gott ihn ruft.


Mose hört diesen Ruf. Und er weicht ihm nicht aus.


„Hier bin ich.“


Hier bin ich mit alldem, was ich getan und erlebt habe.


Hier bin ich mit meiner Lebensgeschichte, mit den Rätseln, mit dem Glanz und mit dem, was ich angerichtet habe. Auch mit dem, was in mir zerbrochen ist.


„Hier bin ich.“


Ein Mensch auf heiligem Boden. Ein Mensch vor Gott.


Angesprochen, irritiert, und doch auch berührt.


Mose zieht seine Schuhe aus. So hat man damals Respekt gezeigt und gesagt: „Du bist der Herr. Nicht ich.“ Ich zieh die ziemlich mitgenommenen Schuhe meines bisherigen Lebens aus. Die haben schon manches mitgemacht, bergauf, bergab. Auch manches, worauf ich nicht stolz bin. Ich leg sie vor dir nieder. Bin bereit, mein Leben von Neuem zu empfangen aus deiner Hand. Du bist der Herr.
Ich will dir zuhören und herausfinden, wo du mich hinschickst und zu wem. Vielleicht höre ich von einer neuen Aufgabe, soll zu neuen Ufern aufbrechen, zu neuen Zielen. Vielleicht soll ich meinen Weg anders gehen. Mit diesem Licht aus dem Dornbusch im Herzen.


Ob ich von dem begeistert sein werde, was ich da von dir höre, kann ich dir nicht versprechen. Aber wenn du dabei bist, kann ich meine Schuhe anziehen und weitergehen, Schritt für Schritt. Zusammen mit dir.


Denn was immer sein wird: Dich möchte ich für immer mit dabeihaben. Dieser Gott begleitet mich. Und dich auch. Deshalb sind wir ja, feiern Gottesdienst. Stellen uns unter Gottes Segen. Bringen uns eine in dieser Gemeinde mit den verschiedenen Aufgaben und Diensten. Weil dieser Gott uns nachgeht, weil er auf unser Leben achtet. Weil er uns sein Licht zeigt. Vielleicht nicht in einem brennenden Dornbusch, aber doch auch mitten im Alltag. In unseren Freuden und unseren Sorgen, unserer Zerrissenheit, unseren Rollen und Identitäten. Denn aus seiner Hand empfangen wir Leben und Segen.


Amen.


 

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