(Predigttext: 1. Mose 3, 1-19)
1 Und die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der HERR gemacht hatte, und sprach zu der Frau: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten?
2 Da sprach die Frau zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten;
3 aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet!
4 Da sprach die Schlange zur Frau: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben,
5 sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.
6 Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von seiner Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon und er aß.
7 Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.
8 Und sie hörten Gott den HERRN, wie er im Garten ging, als der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seiner Frau vor dem Angesicht Gottes des HERRN zwischen den Bäumen im Garten.
9 Und Gott der HERR rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du?
10 Und er sprach: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich.
11 Und er sprach: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen?
12 Da sprach Adam: Die Frau, die du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum und ich aß.
13 Da sprach Gott der HERR zur Frau: Warum hast du das getan? Die Frau sprach: Die Schlange betrog mich, sodass ich aß.
14 Da sprach Gott der HERR zu der Schlange: Weil du das getan hast, seist du verflucht vor allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Staub fressen dein Leben lang.
15 Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in
die Ferse stechen.
16 Und zur Frau sprach er: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Mann sein, aber er soll dein Herr sein.
17 Und zum Mann sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deiner Frau und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen –, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang.
18 Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen.
19 Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde wirst, davon du genommen bist. Denn Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück.
Liebe Gemeinde in Pretoria, liebe Schwestern und Brüder!
Der heutige Sonntag trägt seit alters her den Namen Invokavit. Das ist das erste Wort des Spruchs aus dem Buch der Psalmen, der diesem Sonntag zugeordnet ist: "Er ruft mich an; darum will ich ihn erhören!" (Psalm 91,15). In der lateinischen Sprache, in der im Mittelalter die Gottesdienste gefeiert wurden, erklang dies Jahr um Jahr: "Invocavit me, et ego exaudiam eum!" - "Invocavit”: "Er rief mich..." Seit meiner Konfirmandenzeit ist es mir vertraut. Wir mussten doch damals die lateinischen Namen der Sonntage in der Passionszeit lernen. Meine Mutter verriet mir eine "Eselsbrücke" für die Namen der sechs Sonntage, an denen wir dem Leidensweg unseres Herrn Jesus Christus nachgehen oder mitgehen: "In rechter Ordnung lerne Jesu Passion!" Vielleicht habt Ihr das auch einmal so gelernt!?
Es ist der Weg Jesu zum Kreuz auf Golgatha. Jesu Jünger, seine Weggefährtinnen und Weggefährten, sind damals diesen Weg mit ihrem Heiland mitgegangen. Sie ahnten, ja befürchteten vielleicht, dass der Weg zum Kreuz führt. Aber dass der Tod nicht das letzte Wort hat - wie sollten sie darauf hoffen? Die verängstigten Jünger hockten versteckt beieinander. Die Frauen waren es, die sich zum Grab des Gekreuzigten wagten - und verwechselten den Auferstandenen mit dem Gärtner. Dann aber wurde ihr Blick klar, und sie konnten den Jüngern verkündigen: "Der Herr ist auferstanden!". Es brauchte seine Zeit, bis sie voller
Hoffnung und Freude antworten können: "Er ist wahrhaftig auferstanden!"
Invocavit: das ist gleichsam der Anfang, mit dem sie beginnt: "Die größte Geschichte aller Zeiten”: "The greatest story ever told" - vielleicht erinnert sich noch jemand an den wunderbaren Monumental-Film aus dem Jahre 1965. Meine Frau Gisela und ich haben ihn damals gesehen, und die Bilder bleiben uns
unvergesslich...
Invokavit - dieser alte Sonntagsname ist also verbunden mit einem Anfang. Im Buch der Zeit wird also eine neue Seite aufgeschlagen: So ist das auch im Kirchenjahr, das doch Jahr um Jahr in das Kalenderjahr eingebettet ist: Die weihnachtliche Freudenzeit vergeht. die bittere Zeit des Leidensweges Jesu bricht an.
Anders als die Jünger Jesu, die Männer und Frauen, die mit ihm ziehen - durch Galiläa und schließlich bis nach Jerusalem, die den triumphalen Einzug des Heilandes in der Heiligen Stadt erleben und am Ende die Finsternis, die sich in Seiner Sterbestunde über das judäische Land ausbreitet - anders als die Jünger Jesu wissen wir, die Nachgeborenen, eine unglaubliche Fortsetzung der Geschichte: auf die "Finsternis im jüdischen Lande" - im Deutschen eine sprichwörtliche Wendung! - folgt das helle Licht es Ostermorgens.
Nun fügt es sich, dass ich heute, da ich diese Zeilen aufschreibe, mit meiner Frau zu den hebräischen und griechischen Losungsworten ein Wort Martin Luthers im Losungsbüchlein der Herrnhuter Brüdergemeine (unserer ersten Morgenlektüre) finde: "Wer Buße tut, ist wie einer, der aus einem finsteren Loch in die Sonne
springt!" In diesem Jahr denken wir doch an das Wirken Luthers. Denn vor 500 Jahren hat auch etwas Neues - für die Welt des Christlichen Abendlandes fulminant! - begonnen: mit dem Anschlag der 95 Thesen, deren erste doch lautet: Unser Herr und Meister Jesus Christus - als er sagte: "Tut Buße!" - wollte, dass das ganze Leben der Frommen Buße sein solle!
Und der Invokavit-Sonntag fünf Jahre später hatte sein besonderes Gewicht: Nun war Luther von der Wartburg wieder nach Wittenberg zurückgekehrt: Damals, am 9. März 1522, am Sonntag Invocavit, stand er wieder auf der Kanzel der Stadtkirche St. Marien zu Wittenberg, seiner Predigtkirche: zwar noch im
Mönchsgewand wie ein Jahr zuvor auf dem Reichstag zu Worms vor Kaiser Karl V. - dem "jungen edlen Blut" - , nun aber schon nicht mehr mit der Tonsur, sondern mit dem vollen Haar des "Junkers Jörg" auf der Wartburg, wie ihn der Maler Lucas Cranach dargestellt hat.. Luther hatte doch nicht die Neugründung einer anderen christlichen Kirche gewollt, sondern vielmehr deren schon seit langem geforderte "Reformation an Haupt und Gliedern" (reformatio capitis et membrorum). In seiner Zeit auf "Patmos", also verborgen auf der Wartburg, hat es radikale Entwicklungen auch in Wittenberg gegeben: Bilder und Altäre wurde aus den Kirchen herausgerissen und verbrannt. "Mit Messern bewaffnete Studenten und Handwerksgesellen vertrieben die Priester von den Altären, entrissen ihnen das Messbuch und trieben mit allen Klerikalen ihren Spott..." (Zitat: Heinz Schilling, Martin Luther, Rebell in einer Zeit des Umbruchs, akt. Sonderausgabe 2016, s. 280). In den acht Predigten vom 9. bis zum 16. März, also vom Sonntag Invokavit bis zum Sonntag Reminiszere beendete Luther die "Wittenberger Unruhen" (H. Schilling l.c.). Es war die Zeit, eine neue Ordnung zu begründen, und vielleicht erkannte Luther schon jetzt, dass die mit seinen 95 Thesen gegen den Ablasshandel nun in ganz Europa ein großes Echo findende reformatorische Bewegung zu einer Kirche der Reformation führen würde. Luther erinnerte sich zwar später: "Ich meinte, das Lied wollte mir zu hoch werden!" Also: Dies alles würde mir über den Kopf wachsen. Wenn wir nun, 500 Jahre später, den Geburtstag der Evangelisch-Lutherischen Kirche bedenken und auch feiern, so erinnern wir uns daran, dass damals eine alte, vielen erschöpft erscheinende Ordnung (nämlich die katholische Kirche) die Entstehung einer neuen Ordnung (nämlich die evangelische Kirche) nicht verhindern konnte, sondern letztlich hinnehmen musste.
Von damals, 1517, bis heute ist es ein weiter Weg gewesen. Eine ermutigende Wegstation für die Kirche der Reformation und die Kirche der alten Ordnung, also für die evangelische und die römisch-katholische Kirche war für mich persönlich der Eucharistische Weltkongress, zu dem Papst Johannes Paul II. im Mai und Juni 1997, also vor 20 Jahren, nach Breslau, einst deutsch und nun auf Polnisch Wroclaw, eingeladen hatte. Auch ich hatte eine Einladung erhalten und drei Begegnungen mit dem Papst, der aus Polen stammte und perfekt Deutsch sprach. Er sagte zu mir, nachdem er mir den Bruderkuss gegeben hatte: "Wir, Polen und Deutsche, wir, Katholiken und Evangelische, sitzen in einem Boot!" Und fügte mit einem leichten Lächeln hinzu: "Nur im Vatikan sind sie noch nicht so weit." Und im Blick auf meinen Nachnamen in dem ihm eigenen Humor: "Das wird Ihnen der liebe Gott schon verzeihen."
Einen weiteren, viel größeren Neubeginn als den der Passionszeit im Kirchenjahr, als den der Entstehung der Kirche der Reformation vor einem halben Jahrtausend, will uns an diesem Sonntag der uns zugeordnete Predigttext aus dem Alten Testament ans Herz legen. Es ist ja die Geschichte vom Sündenfall, die Geschichte von Adam und seinen "Weib". Beide werden nun, da sie der Weisung Gottes nicht gefolgt sind, aus dem Paradies verwiesen. Adam, dem dieser Name "Mensch" von Gott gegeben war, nennt nun sein Weib Eva, die "Gebärerin". Der Garten Eden darf nun nicht mehr ihre Heimat sein.
Gottes Schöpfung - sie wird im 1. Kapitel des Buches Genesis (und das heißt doch Schöpfung) beschrieben - ist doch ganz nach dem Herzen Gottes. Nach jedem Schöpfungstag betrachtet Gott sein Werk mit Gefallen. Jedes Mal heißt es dann: "Und Gott sah, dass es gut war." (Vers 4, 10, 12, 19, 21, 25). Als Gott schließlich den Menschen "zu seinem Bilde...als Mann und Weib" geschaffen hatte, fällt ein noch günstigeres Urteil: "Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut!" (Gen 1, 31). Welche Eltern würden sich nicht freuen, wenn ihre Kinder immer ein Schulzeugnis mit einer so schönen Abschlussnote nach Hause bringen würden!?
Nun aber zeigt sich in unserem heutigen Predigttext, also in der Geschichte vom Sündenfall, - von vielen Künstlern in ihren Gemälden dargestellt - , dass der Mensch aus der guten Schöpfungsordnung ausbricht. Versuchung, Verlockung, Torheit, Übermut, Selbstüberschätzung und Geringschätzung Gottes, Langeweile über Bestehendes und Neugier auf etwas anderes - wir können wohl viele Gründe und Motivationen nennen, warum ein Mensch etwas sehr Gutes hinter sich lässt, weil etwas anderes im Leben eine Faszination ausübt, der gegenüber das gute, das sehr gute Bestehende verblasst, seinen Charme verliert, in seiner - wie sagt man heute in Neudeutsch?! - "Wertschätzung" immer geringer geachtet wird, bis man sich nicht scheut, es preiszugeben. Man will ja nicht feige sein, oder man denkt: So schlimm kann es ja nicht werden! Und wenn es um die Sache mit Gott geht: Er ist doch der "liebe Gott". Er kann gar nicht anders, als uns alles zu vergeben und zu verzeihen. Das ist gewissermaßen sein Amt.
Dem paradiesischen Leben im Garten Eden stellt die Sündenfall-Geschichte eine andere Wirklichkeit entgegen. Und sie fällt viel herber aus als in Gottes Schöpfungsordnung. Die neue Wirklichkeit ist jene erfahrbare Welt, soweit wir sie überschauen können und wohl auch selbst erlebt haben und erleben: um es krass auszudrücken: der Ausdruck vom "Fluch der bösen Tat" hat es allemal in sich. Und auch wer im Einklang mit der Wegweisung Gottes sein Leben zu gestalten sucht, muss (leider auch) mit der Erfahrung umgehen, dass Gott kein "Wunschkonzert" veranstaltet oder uns zu Superpreisen oder gar gratis in seinem "Selbstbedienungs-Laden" einkaufen lässt, was immer unser Herz begehrt.
Gott verheißt dem Adam: "Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen...und du bist Erde und sollst zu Erde werden!" (Vers 19). Und im Vers 16 unseres Predigttextes lesen wir: "Und zum Weibe sprach er: Unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, aber er soll dein Herr sein."
An diesem Sonntag begegnen uns also drei Geschichten von Neuanfängen: in der Passionsgeschichte des Neuen Testamentes. in der Invokavit-Geschichte unserer Kirche der Reformation, in der Schöpfungsgeschichte des Alten Testamentes.
Haben diese drei Geschichten die Schönheit eines Dreiklanges, wie er uns in wunderbarer Musik begegnet? Oder klingen in solchen Dreiklängen auch jene Töne mit, die auch in Freud und Leid unserer eigenen Lebenslieder anklingen? Haben wir Grund, Gott zu danken, wie es der Psalmensänger tat: "Ich will ihm danken mit meinem Lied!" (Psalm 28,7)? Finden wir Kraft und Mut zu einem neuen Aufbruch zu finden und es - angesichts unserer aus so vielen Wunden blutenden Welt - dem Beter des 45. Psalm doch gleichzutun: "Mein Herz dichtet ein feines Lied!" ?
Das Wort unseres Gottes - so empfinde ich es - öffnet unserem Leben am Ende einen weiten Horizont der Hoffnung, des Friedens und der Liebe.
Mit dem Beter des 92. Psalms: " Dies ist ein köstlich Ding, dem Herren danken und lobsingen deinem Namen, du Höchster."
Amen.