2016-04-23 - 1. Sonntag nach Ostern - Pastor Dr. Christian Nottmeier

Weitere Übersetzungen dieser Predigt:


( Predigttext: Joh 21,1-14)


1 Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See von Tiberias. Er offenbarte sich aber so:

2 Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger.

3 Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sprechen zu ihm: Wir kommen mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts.

4 Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war.

5 Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein.

6 Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.

7 Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte: »Es ist der Herr«, da gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich in den See.

8 Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen. 

9 Als sie nun an Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf und Brot.

10 Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! 11 Simon Petrus stieg herauf und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht.

12 Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr.

13 Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch den Fisch. 

14 Das ist nun das dritte Mal, dass sich Jesus den Jüngern offenbarte, nachdem er von den Toten auferstanden war.


Liebe Gemeinde!


Quasimodogeniti – „Wie die neugeborenen Kinder nach Milch, so seid begierig nach dem Worte Gottes“ – so lautet in Anlehnung an 1. Petr 2,2 der Name des ersten Sonntags nach Ostern. Dieser kleine Vers deutet schon so etwas wie die zwei Grundmotive dieses Tages an: die – durchaus auch sinnlich konnotierte – Begierde nach dem Wort Gottes, in diesem Zusammenhang des Wortes von der Auferstehung Jesu, des einen Menschen Gottes und die aus diesem Wort resultierende Verwandlung und Neuschöpfung des Menschen, der sich zu Jesus Christus als dem Gekreuzigten und Auferstandenen bekennt. Der in der frühen Kirche auch „weiße Sonntag“ – in der katholischen Kirche heißt er bis heute so und ist seit dem 16. Jahrhundert zugleich der Tag der Erstkommunion – genannte Tag hat deshalb auch diese besondere Verbindung zur Taufe, legten doch an diesem Sonntag die in der Osternacht Getauften ihre Taufkleider ab. Das scheint mir mehr als nur eine historische Erinnerung zu sein. Denn das Ablegen des Taufkleides, des festlichen Gewandes markiert einen Übergang. Nach der Feier, dem Fest steht nun die Bewährung des Glaubens im alltäglichen Lauf des Alltags an. Was bleibt von der österlichen Freude, was bleibt von der Neuschöpfung, vom Neugeborensein, vom in der Taufe mit Christus begraben und auferstanden sein? Es mag ja wahr sein, dass Ostern das Leben über den Tod gesiegt hat. Aber wo trägt mich das weiter in einem Alltag, der wenig von österlichem Triumphalismus, wenig von eindeutig identifizierbaren Mächten des Todes, denen der Stachel auch genommen sein mag, geprägt ist als vielmehr durch immer sich wiederholende Abläufe, das tägliche Auf und Ab, das Kreisen um sich selbst und die Probleme, die jeder Tag neu mit sich bringt? Das Evangelium von dem zweifelnden Thomas unterstreicht das noch. Acht Tage nach der Auferweckung begegnet Jesus dem zweifelnden Thomas, der erst die Wunden Jesu berühren muss, um vom Ostererleben überwältigt zu werden. Der Osterglaube bleibt immer angefochtener Glaube bleibt. Ob´s denn auch wahr ist, was die Osterzeugen berichten bleibt eine brennende Frage, nicht allein historisch, sondern v. a. höchst individuell: ob´s denn auch für mich wahr ist und mich zu tragen vermag.


Was mich fasziniert an dieser facetten- und anspielungsreichen Geschichte ist dies. Die Jünger kommen eigentlich hier nicht vom Fest in den Alltag, sie haben nicht fröhlich Ostern gefeiert. Es ist vielmehr umgekehrt. Sie sind längt in ihren Alltag zurück und in ihm gefangen – als hätte es Ostern nie gegeben. Enttäuscht und resigniert, ähnlich den heimkehrenden Jüngern auf dem Weg nach Emmaus, haben sie sich wieder ganz dem hingegeben, was seit ihrer Kindheit ihren Alltag, ihre Lebenswirklichkeit ausmacht: dem Fischerberuf. Übrigens üben sie auch diesen Beruf nicht sehr erfolgreich aus: der erste nächtliche Fischzug bringt schlechterdings nichts ein. Es ist dieser höchst unbefriedigende, überaus ambivalente Alltag, in den
Jesus eintritt und ihm so eine ganz neue Ausrichtung und Fokussierung gibt. Den Spuren dieser Begegnung – einer Ostererfahrung mitten im Alltag – lohnt es sich nachzugehen.


Ja, es ist keine Situation der österlichen Freude, von der Johannes hier erzählt. Es ist zunächst die Geschichte von Enttäuschten und Verzweifelten. Ähnlich wie die Emmausjünger hatten sie alle Hoffnungen auf Jesus gesetzt – und nun scheint alles vorbei, sind sie wieder da, wo sie vor Jesus waren.


Anschaulich beschreibt das Eric-Emmanuel Schmitt in seinem wunderbaren Roman „Das Evangelium nach Pilatus“ aus der Perspektive Jesu und der ersten Jünger, was sie an Jesus so begeistert hatte: „Was dann kam, war die glücklichste und aufregendste Zeit meines Lebens. Voller Begeisterung hob ich die Geheimnisse, die Gott auf den Grund meiner Meditationen gesenkt hatte, und verkündete sie Tag um Tag. ... Andreas, Simon und ich zogen durch das grüne, frische, fruchtbare Galiläa. Wir lebten sorglos in den Tag, nächtigten unter freiem Himmel, aßen, was wir mit unseren Händen von den Bäumen pflückten oder andere Hände uns reichten. Mit Gott entdeckten wir die Leichtigkeit. ... Ich hatte die Karten der Welt aufgedeckt. Die Menschen spielten falsch; sie dachten, sie müssten gewinnen, und setzten auf die falschen Trümpfe: Stärke. Macht. Geld. Ich liebte nur jene, die bei diesem dummen Spiel nicht mitmachen durften, die Unangepassten, die Ausgeschlossenen; die Armen, die Sanften, die Behinderten, die Frauen, die Verfolgten. ... Nichts hält dem Vergleich mit der heiteren Unschuld dieser ersten Monate stand. Wir waren Wegbereiter. Wir erfanden eine neue Art zu leben. Wir besiegten den Argwohn. Wir konnten nur empfangen und verschenken. Wir waren
frei. Wir hatten uns in unbekannte Weiten aufgemacht.“ (Schmitt, 42f.)


Doch das ist jetzt vorbei. Sie hatten sich damit gründlich geirrt. Jetzt, nach seinem Tod, sind sie nicht nur auf dem Weg in die alte Heimat mit ihren Festlegungen und vorhersehbaren alltäglichen Abläufen, sondern sie sind dort längst angekommen. Das Charisma des Außeralltäglichen, das ihnen in Jesus begegnet war, hatte sich durch das desaströse Ende der Jesusbewegung als zu schwach, ja trügerisch erwiesen. Fast unbemerkt tritt in diesen Alltag, am Morgen, als der Fischzug erfolglos bleibt, Jesus hinzu. Seine Frage, ob sie nichts zu
essen haben, berührt wohl mehr als ihre materielle Versorgung. Und sie müssen das auch eingestehen: Nein, nichts, alles vergeblich.


Dennoch trauen sie dem Unbekannten, werfen das Netz erneut aus und machen den Fang ihres Lebens. Dem Lieblingsjünger wird diese unerwartete Fülle zum Zeichen der Gegenwart Jesu: Es ist der Herr! Petrus steht dieses Mal nicht zur Seite. Er stürzt sich in den See, offensichtlich, um als erster bei Jesus zu sein und das Netz an Land zu ziehen. Spätestens dort wird es allen klar, dass es Jesus ist. So klar, dass niemand es aussprechen muss. Gemeinsam halten sie das Mahl – Zeichen der Gemeinschaft, die sie schon mit dem irdischen Jesus verbunden hatte. Resignation, Hoffnungslosigkeit, Enttäuschung – all das ist verschwunden. Das, was sie jetzt erleben, ist wie ein neue, eine zweite Geburt. Nichts von dem, was sie mit Jesus verband, war umsonst. Begierig, fast wie Kinder, genießen sie die Zeichen seiner Gegenwart, sind – wenn auch vielleicht nur für diesen Moment – ganz bei Gott geborgen, erfahren Ostern, ewiges Leben, mitten in der Zeit. Und so erzählt Johannes eine exemplarische Ostergeschichte mitten im Alltag. Es geht weniger um äußerliche Tatsachen als um innere Erfahrungen – Erfahrungen, die sich dann allerdings auch nach außen wenden.


Johannes erzählt zwar von wundersamen Geschehnissen, verwebt vielleicht verschiedene Berichte und Geschichten, die wir aus den anderen Evangelien kennen und verwebt sie zu einer Ostergeschichte. Aber er erzählt Ostern ohne Geschichten vom leeren Grab, ohne triumphierenden Christus, ohne Osterlachen. Die Geschichte verortet Ostern im Alltag. Sie ermuntert, die Zeichen zu deuten. Die Fülle des Fangs, den die Jünger bestaunen, ist nicht Zufall. In ihm spiegelt sich vielmehr die Gegenwart Jesu wider. Das Mahl ist mehr als geselliges Beisammensein nach einer harten Arbeitsnacht, die doch noch irgendwie ein gutes Ende genommen hat. Es ist Zeichen der Gegenwart Jesu, Bild der Evidenz eines unmittelbaren Lebenssinns, den der Mensch nicht sich selbst verdankt. Ostern – das ist neues Leben, unverstellter Lebenssinn, der sich dann einstellt, wenn – mitten im Alltag – die Zeichen nicht als Zufälle, als Schicksal, sondern als Gegenwart des Lebens aus und in Gott gedeutet werden.


Ostern unterbricht jenes Kreisen im Kreis, das Robert Gernhardt in einem Gedicht mit dem Titel „Im Kreis kreisen“ beschrieben hat, ohne die Risse, die Brüche, die Enttäuschungen im Leben zu verschweigen:


Wir ziehen enge Kreise
mit ziemlich kurzem Schritte.
Das Kreisen nennt man Leben.
Doch wie nennt sich die Mitte?
Es stehn um diese Kreise
fortwährend enge Wände.
Die Wände nennt man Schicksal.
Doch wo ist deren Ende?
Es hat der Kreis kein Ende.
Wie anders unser Kreisen.
Da geht ein Riss durchs Leben.
Doch was will der schon beweisen?


Der Riss im Leben, er ist nicht zu verleugnen. Er durchzieht uns. Aber er verweist zugleich in dieser Ostergeschichte auf den, der Mitte und Ziel unseres Lebens ist: Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene.


Amen.


 

covid 19

Logo and link provide as required by Government Notice No. 417 of the
South African Department of Telecommunications and Postal Services