2017-11-12 - Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres - Pfarrer Dr. Christian Nottmeier

(Predigttext: Lk 11, 14-23)


14 Und er trieb einen Dämon aus, der war stumm. Und es geschah, als der Dämon ausfuhr, da redete der Stumme, und die Menge verwunderte sich. 15 Einige aber unter ihnen sprachen: Er treibt die Dämonen aus durch Beelzebul, den Obersten der Dämonen. 16 Andere aber versuchten ihn und forderten von ihm ein Zeichen vom Himmel.

17 Er aber kannte ihre Gedanken und sprach zu ihnen: Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet und ein Haus fällt über das andre. 18 Ist aber der Satan auch mit sich selbst uneins, wie kann sein Reich bestehen? Denn ihr sagt, ich treibe die Dämonen aus durch Beelzebul.

19 Wenn aber ich die Dämonen durch Beelzebul austreibe, durch wen treiben eure Söhne sie aus? Darum werden sie eure Richter sein.

20 Wenn ich aber durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.

21 Wenn ein gewappneter Starker seinen Palast bewacht, so bleibt, was er hat, in Frieden.

22 Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt und überwindet ihn, so nimmt er ihm seine Rüstung, auf die er sich verließ, und verteilt die Beute. 23 Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.


Liebe Gemeinde!


„Und er trieb einen Dämon aus, der war stumm. Und es geschah, als der Dämon ausfuhr, da redete der Stumme, und die Menge verwunderte sich.“

 

In nur zwei Sätzen berichtet der Evangelist Lukas von einem Heilungswunder. Wir erfahren nichts über die näheren Umstände. Sie bleiben uns verborgen. Wer der Mann war, wie Jesus auf ihn aufmerksam wurde, was genau Jesus tat oder sagte, um ihn aus dem Gefängnis seines Schweigens zu befreien, von alledem erzählt Lukas nichts. Die Ursache für das Verstummen des Mannes jedoch benennt er. Er macht einen Dämon dafür verantwortlich.

Das Wunder gleich am Anfang dieser Geschichte lässt mich etwas sprachlos zurück. Uns aufgeklärten neuzeitlichen Menschen hilft das nicht wirklich weiter. Wir wissen zwar, dass in biblischer Zeit Dämonen zum Weltbild gehörten und dass sie als Ursache zahlreicher körperlicher und seelischer Erkrankungen angesehen wurden. Wir wissen vielleicht auch, dass das Austreiben von Dämonen nicht ein Alleinstellungsmerkmal der Tätigkeit Jesu war. So merkwürdig es uns erscheint. Das konnten damals auch andere, nicht nur Jesus. Auch das Judentum kann die Praxis der Dämonenaustreibung und führte sie auch Salomo zurück. Was später hier den Streit erregt, ist nicht, dass Jesus Dämonen austreibt, sondern wie er es tut. Er hält sich – fast möchte man sagen: wie immer – nicht an die vorgeschriebenen Regeln und Formeln, die man eigentlich dazu braucht, sondern macht es einfach so. Das führt zum Streit und zu dem Vorwurf der umstehenden Pharisäer, Jesus gehöre vielleicht selbst zu den Kräften des Dämonischen, ja Teuflischen. Dass Jesus Dämonen austreiben kann, macht ihn noch nicht zu etwas Besonderem. Und eben deshalb fordern die Umstehende andere, deutlichere Zeichen, ein Erdbeben vielleicht, das er herbeiführt, einen leuchtenden Stern am Himmel, irgendetwas, was nicht jeder kann. Dämonenaustreibungen – das reicht nun wirklich nicht, und schon gar nicht so, wie Jesus es tut.


Insofern führt uns die Geschichte in eine ferne Welt, wenngleich wir alle Menschen kennen, für die Dämonen und Geister durchaus reale Mächte sein können. Wobei wir natürlich wissen, dass das meiste davon zweifellos medizinisch erklärt werden kann. Wer von uns möchte ernsthaft etwa Epilepsie noch als – möglicherweise sogar selbst verschuldete – Besessenheit von Dämonen erklären? Diese Vorstellung haben wir ins finstere Mittelalter verbannt. Wir haben sie spätestens mit der Aufklärung und den Erkenntnissen und Möglichkeiten der modernen Medizin hinter uns gelassen – mit guten Gründen.


Und doch begegnen uns immer wieder bestimmte Vorstellungen von Geistern und Dämonen. Ich denke dabei gar nicht nur an das doch wirklich etwas fragwürdige Halloween, sondern ebenso an dem Nervenkitzel, mit dem wir animierte Monster, Zombies oder walking deads auf Leinwänden und Computermonitoren betrachten – vielleicht nicht jeder von uns, aber wer mal genauer mit Menschen über Filme und Serien spricht, dem wird das nicht fremd sein. Aber auch wenn man von diesen Kunstgeschöpfen einmal absieht: was sind eigentlich Dämonen oder Geister? Offensichtlich sind es schwer zu greifende Mächte, die sich der Beherrschung durch normale Mittel gleichsam entziehen, weil sie in ihrer Art irgendwie die Mechanismen des Alltäglichen durchbrechen. Die Menschen der Antike rechneten fest mit solchen Mächten, sie gehörten sozusagen zum Leben dazu. Man musste sie bannen, beherrschen, austreiben – sie waren aber da, wegreden oder verdrängen half da nicht. Das Problem war wohl nicht, dass man mit Dingen im Leben rechnete, die man nicht einfach erklären konnte. Das Problem war vielleicht eher, dass man sich für solche Un- oder Außernormale dunkle Wesen und Mächte ausmalte, die man sich gleichsam real vorstellte – manche naive Vorstellung des Teufels als noch Schwefel stinkendem Wesen mit Hinkefuß ist ein Überbleibsel heidnischer Vorstellungen auch im Christentum. Aber – und das scheint mir wichtig – man versuchte eben, dieses Außernormale irgendwie zu benennen, namhaft zu machen, mit seiner Existenz in welcher Form auch immer zu rechnen.


Gewiss, wir sind da heute vielfach weiter. Aber auch wer wie schon der große Philosoph Immanuel Kant die Vorstellung eines leibhaftigen Teufels hinter sich gelassen hat, kommt nicht umhin mit ihm festzustellen, dass es etwas wie das Böse, abgründig und tief und dunkel gibt, dass immer wieder Menschen verführt – oft unter dem Mantel einer guten und vermeintlichen lebensdienlichen Idee – und das nicht durch noch so gut sozialpädagogische Maßnahmen ganz zum Verschwinden gebracht werden wird. Aber vom dem Gedanken des Bösen einmal abgesehen: Die Frage ist, ob wir uns noch trauen, das Außernormale, das Nichterklärbare, das Unverständliche zu benennen. Ober wir es, indem wir es erklären, rationalisieren, nicht vielleicht auch verharmlosen, es in eine Ecke drängen, aus der es uns dann doch plötzlich erwischt? Ober wir benennen es gar nicht mehr, schweigen davon, verdrängen es in die hintersten Winkel unseres Bewusstseins.


Ich will das an der Heilung dieses Stummen verdeutlichen. Wir können heute medizinisch erklären, wie es zu dieser Krankheit gekommen ist, ja, wir können durch die Entschlüsselung menschlicher Gene bis zu den Geheimnissen der Schöpfung vordringen, Wahrscheinlichkeiten berechnen, Therapien entwerfen. Aber haben wir deshalb die Frage auch nur annähernd beantwortet, welche Tragweite, welche Folgen und welche Ursachen eine Krankheit haben kann – jedenfalls jenseits der medizinischen Handbücher. Wenn es konkret wird, wenn ich damit konfrontiert bin. Die Sprache bleibt dann weiter hilflos: „Schicksalsschlag“, „Störung“. „Pech gehabt“, „so ist das Leben“ oder „warum ich?“.


Jesus, auch in dieser Geschichte, benennt die dunklen Mächte. Er sieht die Angst, die Fragen und die Unsicherheit, wohl auch die Verführbarkeit. Er macht kein Gewese darum, keine Beschwörungen, keine Rituale, und seien sie noch so sehr von der religiösen Tradition vorgegeben. Er bringt die Dinge auf den Punkt. Er tut es - der Sprache der jüdischen Tradition – mit dem „Finger Gottes“, ist der von Gott Gesandte. Und wo er ist, da ist Gottes Herrschaft gegenwärtig. Da werden Dämonen nur doch die Kraft des Wortes ausgetrieben, da erfahren Menschen Heilung und Ganzheit, da verfliegen die dunklen Geister und Gedanken. Auch dem Stummen, der hier geheilt wird, dem ergeht es so.


„Und er trieb einen Dämon aus, der war stumm. Und es geschah, als der Dämon ausfuhr, da redete der Stumme, und die Menge verwunderte sich.“


Ich sehe einen Menschen, der in seinem Schweigen nicht aufgegeben wird. Der erlebt, wie Gott selbst Interesse an ihm hat, ihn nicht übersieht, sich an seine Seite stellt, sein Schweigen aushält, seinen stummen Schmerz und seine unausgesprochenen Klagen - und sie hört. Gott hört die Stille. Gott hört den stummen Schrei - und er kommt und schweigt nicht. Sein Wort befreit zum Leben.


Und mit jedem Wort wächst Hoffnung, wächst Mut. Und es lichten sich die Gedanken, und es weitet sich die Perspektive, und es kehrt Friede ein: „... da redete der Stumme, und die Menge verwunderte sich“.


„Wenn ich aber durch den Finger Gottes“ - d. h. durch den Heiligen Geist - „die Dämonen austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.“ Das Reich Gottes! Es ist mit Jesus angebrochen! Das Wunder, das an dem Stummen geschehen ist, zeugt davon. Es bedarf keiner weiteren Zeichen. Der Stumme hat es am eigenen Leibe erfahren, die Umstehenden aber haben es mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört. Sie sind nicht nur unbeteiligte Zuschauer. Sie sind mittendrin. Es geht sie alle etwas an. Was hier geschieht, gilt ihnen allen. „... so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.“ Zu euch! Hier und heute!


Auch wir sind nicht nur Zuschauer oder nur Hörer einer Jahrtausende alten Geschichte. Gottes Wort zieht uns immer hinein in seine Geschichten und es will immer mit unserer je eigenen Lebensgeschichte weitergeschrieben werden. Das Reich Gottes ist mit Jesu Kommen auch für uns angebrochen, mit seinen Worten, seinen Taten, mit seinem Leben, Sterben und Auferstehen. Damit wir sehen, erkennen, in Freude wie im Leid, was es heißt, aus Gott zu leben und so ein Gotteskind zu sein. Dann können wir gewiss sein wie Paulus es im Brief an die Römer schreibt:


„Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.“


Amen.


 

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