(Predigttext: Lukas 12, 35-48)
Trotz des Sommers, für manche von uns ist heute am Ende des Kirchenjahres, im November, unsere Welt dunkel gefärbt. Vielen ist er begegnet in den vergangenen Monaten. Der Tod, der das Leben verdunkelt. Hautnah haben wir gespürt, wie der Tod Lücken reißt. Ob als Erlösung oder als Unfall, ob durch Gewalt oder Krankheit, ob zu Unzeit oder zur rechten Zeit, der Tod ist in unser Leben eingebrochen und hat es verändert.
Wir haben unsere Verstorbenen betrauert in den vergangenen Monaten– und wir werden heute noch einmal schmerzlich an sie erinnert. Die Namen werden verlesen, eine Kerze angezündet. Noch einmal tauchen bei einigen von uns die Bilder des Todes auf, durchwachte Nächte, Begegnungen beim Abschied. Alte Wunden brechen auf. Der Gang zum Friedhof oder an unsere Urnenwand lässt uns noch einmal innehalten.
In die Trauer um den Verlust mischen sich manchmal auch Schuldgefühle, Vorwürfe, Anklagen. Haben wir die Zeit, die wir miteinander hatten wirklich genutzt, bin ich zu viel schuldig geblieben, habe ich zu wenig geliebt?
Und zugleich spüren wir: Jetzt geht es um uns. Nach dem Abschied kommt der Blick nach vorn. So bleibt doch auch hier die Frage nach unserem Leben, unserer Zeit, unserer Endlichkeit. Jeder Augenblick könnte der letzte sein. Wir haben unser Leben überhaupt nicht in der Hand. Das verbindet unser Leben mit jenen Gleichnissen Jesu, die wir vorhin im Evangelium gehört haben und die jetzt auch im Predigttext aus dem Lukas-Evangelium aufgenommen werden. Der Tod und das Kommen Christi haben offensichtlich dies gemeinsam: Sie lassen uns die absolute Kontingenz unseres Daseins erfahren. Sie sind der Einbruch des Unvorhersehbaren und Ungeheuren in unsere Welt und unser Leben.
So heißt es bei Lukas 12, 35-48:
35 Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen
36 und seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten, wann er aufbrechen wird von der Hochzeit, auf dass, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich auftun.
37 Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen.
38 Und wenn er kommt in der zweiten oder in der dritten Nachtwache und findet's so: Selig sind sie.
39 Das sollt ihr aber wissen: Wenn der Hausherr wüsste, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so ließe er nicht in sein Haus einbrechen.
40 Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr's nicht meint.
41 Petrus aber sprach: Herr, sagst du dies Gleichnis zu uns oder auch zu allen?
42 Und der Herr sprach: Wer ist nun der treue und kluge Verwalter, den der Herr über sein Gesinde setzt, dass er ihnen zur rechten Zeit gebe, was ihnen an Getreide zusteht?
43 Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, solches tun sieht.
44 Wahrlich, ich sage euch: Er wird ihn über alle seine Güter setzen.
45 Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr lässt sich Zeit zu kommen, und fängt an, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich vollzusaufen,
46 dann wird der Herr dieses Knechts kommen an einem Tage, an dem er's nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und wird ihn in Stücke hauen lassen und wird ihm sein Teil geben bei den Ungläubigen.
47 Der Knecht aber, der den Willen seines Herrn kennt und hat nichts vorbereitet noch nach seinem Willen getan, der wird viel Schläge erleiden.
48 Wer ihn aber nicht kennt und getan hat, was Schläge verdient, wird wenig Schläge erleiden. Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.
Drei sehr verschiedene Geschichten werden hier erzählt.
In der ersten Szene stehen in einem großen, herrschaftlichen Haus einige Leute beisammen, die Dienerschaft. Sie halten brennende Lichter in den Händen, sind bereit aufzubrechen, sobald sich das Kommen ihres Herrn, auf den sie warten, ankündigt. Der ist irgendwo auf einer Hochzeitsfeier. Und das kann sich hinziehen. Aber die Knechte sind bereit zu warten. Und sie warten, und warten, und warten. Es wird immer später, schon ist die zweite, bald die dritte Nachtwache dahin. Doch dann kommt der Herr doch noch. Er klopft, sie öffnen die Tür. Und dann die Überraschung: es wird weiter gefeiert. Jetzt bittet der Herr zu Tisch, alle, die ganze Dienerschaft. Die Rollen werden getauscht. Jetzt dient der Herr den Knechten, bis in den Morgen wird gegessen, getrunken, getanzt.
Szenenwechsel: Der Hausherr schläft, alle schlafen. Es war ein rauschendes Fest. Sorglos sind alle zu Bett gegangen. Da wird im Haus eingebrochen. Keiner hat aufgepasst. Woher hätte man auch wissen sollen, das gerade jetzt ein Dieb kommt. Damit war nicht zu rechnen, nicht am helllichten Tage.
Und eine dritte Szene: Wieder ist ein Hausherr auf Reisen. Er wird lange wegbleiben und hat deshalb einen seiner Knechte als Verwalter eingesetzt. Und der macht seine Sache zunächst auch recht gut. Alle Arbeiten werden korrekt erledigt, jeder erhält seinen verdienten Lohn. Alle haben, was sie zum Leben brauchen. Der Herr, der sich gelegentlich über Boten erkundigt, ist hoch zufrieden. Doch auf einmal, so muss er hören, vernachlässigt der sonst so gewissenhafte Verwalter seine Pflichten. Statt die tägliche Arbeit zu organisieren, die Aufsicht gewissenhaft wahr zu nehmen und den Lohn pünktlich auszuzahlen, misshandelt und drangsaliert er seine Mitknechte. Schließlich vernachlässigt er seine Pflichten komplett, beginnt zu saufen, kümmert sich nicht mehr um den Betrieb des Hauses.
Diese letzte Szene führt den kompletten moralischen Zusammenbruch eines einst ehrbaren und verantwortungsbewussten Menschen vor. Über die Gründe lässt sich – wie so oft – nur mutmaßen. Überforderung? Oder hat der Hausherr womöglich einfach zu lange nichts mehr von sich hören lassen? Oder will er endlich auch mal was vom Leben haben und das lässt irgendwann alle Dämme brechen. Wie dem auch sei: Gerade als der Verwalter im besten Hotel der Stadt ein Gelage feiert, als alle Gedanken an den ausbleibenden Herrn verflogen sind, da – geht die Tür auf und er steht da. In seinem Zorn lässt der Herr diesen Knecht in Stücke hauen.
Drei Szenen also, die es in sich haben, alle Teil eines großen Stückes, in dem es um die bleibende Erwartung, die lebendige Gewissheit geht, dass Jesus wiederkommt, auf einen jeden von uns zugeht, dass wir ihm begegnen, irgendwann und irgendwo. Was ist in der Zeit dazwischen, auch unserem Leben, zu tun? Wie bereiten wir uns auf diesen Tag vor? Und wie auf unseren Tod? Indem wir unsere Verantwortung wahrnehmen, das Rechte tun, für alles, was uns anvertraut und gegeben ist. Das, so will es Lukas hier sagen, ist die Aufgaben jedes Christen.
Doch – worauf gehen wir zu? Was ist – auch nach den Abschieden dieses Jahres – unsere Erwartung ans Leben? Ist mit dem Tod nicht doch alles aus?
Jesu Gleichnisse vom Warten auf das Kommen Jesu zeigen, welche Kraft aus der Zuversicht erwachsen kann, dass am Ende das Leben steht und nicht der Tod, die Fülle und keineswegs das Nichts. Allerdings, oft fällt es schwer, diese Erwartung ans Leben festzuhalten, nicht zu resignieren, sich nicht in seiner Trauer einzugraben. Viel gegeben, viel gekämpft – und doch verloren. Oft bleibt uns nichts anderes, als die letzte Niederlage einzugestehen. Es scheint dann so, als sei alles umsonst gewesen, alles Hoffen und Bangen, alles Warten, Bitten, Drängen –vergeblich. Der Tod hat das letzte Wort und mit dem Tod ist alles aus. Es gibt kein Darüber hinaus.
Drei Szenen führt Lukas uns vor Augen, die zeigen sollen, wie der Lebensmut auch in so unwegsamen Lebensgelände wachsen kann: ein trotziges Dennoch!
In allen drei Szenen wissen die Akteure den Zeitpunkt der Wiederkunft nicht. Und da droht ohne Frage die Resignation, die Kapitulation, der Zusammenbruch: Die Hochzeit geht ja nie zu Ende! Der Dieb kann jederzeit kommen, aber ich kann ja nicht immer wachsam sein! Lange genug habe an der Stelle des Hausherrn die Verantwortung wahrgenommen, der kommt nicht mehr wieder. Also will ich das Leben genießen. Es gibt eh kein Danach!
Noch größer als die Ermahnung ist allerdings die Aussicht, die die drei Szenen denen eröffnen, die wachsam bleiben, die Hoffnung nicht aufgeben, die Lebensgewissheit bewahren: Am Ende steht nicht der Tod, mit dem alles aus ist. Jesus, der Auferstandene, kommt auf uns zu. Er kommt gewiss. Wir wissen nicht, wann und wie das sein wird. So wenig wie wir die Stunde unseres Todes wissen. Doch wer auf Jesus wartet, dem wandelt sich das Nichtwissen der Stunde des Todes in das Nichtwissen des Zeitpunkts für die Begegnung mit ihm, zur Erwartung des Einbruchs der Ewigkeit mitten in der Zeit. Das Warten lohnt sich, Glauben macht stark, Hoffnung verleiht Flügel. Nichts ist törichter als die Rede, die Jenseitshoffnung sei eine bloße Vertröstung im irdischen Jammertal. Nein, das Jenseits ist die Kraft des Diesseits.
Johannes Brahms komponierte in seinem Deutschen Requiem eine ergreifende Fuge zu den Worten: Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen und gen Zion kommen mit Jauchzen; Freude, ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen und Schmerz und Seufzen wird weg müssen. Was Brahms mit Hilfe der Musik leidenschaftlich in unsere Herzen tragen kann, vermag mit nüchternen Worten allein wohl niemand. Von dieser Verheißung eines fröhlichen Endes her lasst uns leben, verantwortlich leben in der Zeitspanne die uns gegeben ist, getrost und getröstet leben in der Erwartung von Gottes Ewigkeit. Gebe Gott, dass unser Hoffnungsmut und – in der Zwischenzeit – die Kraft zum Tun des Rechten nicht zusammenbrechen. Es ist ein wunderbares Glück, darauf zu setzen, dass Jesus keinen, keine verloren gibt, nicht in der Zeit, nicht in der Ewigkeit.
Amen.