(Predigt Röm 15,4-13)
Move 1 Solange ich atme, hoffe ich
„Solange ich atme, hoffe ich,“ hat einst Cicero gesagt, der berühmteste Redner Roms zur Zeit vor Christus. Ich glaube, er spricht für jede Menschenseele:
Wir alle hoffen – unser Leben lang. Aber worauf? Worauf setzt Ihr eure Hoffnung? Im Blick auf Euer Leben? Im Blick auf Eure Lieben? Dass man gesund bleibt oder wieder gesund wird? Dass man in der Schule und im Studium gut abschneidet und einen Beruf findet, der zu einem passt? Dass dieser oder jener sich wieder einmal meldet?
Hoffnungen verändern sich. Hoffnungen werden auch einmal enttäuscht. Dennoch wagen wir es immer wieder neu, in andere Menschen, in Systeme und in der Welt zu hoffen, und das ist gut so.
Die Hoffnungen, die wir mit Weihnachten verbinden, sind, glaube ich, bei uns allen ähnlich. Friede und Freude stehen oben auf der Liste. Wir hoffen auf ein harmonisches Miteinander ohne Streit.
Es geht in die letzte Woche vor Weihnachten.
Wenn’s Euch um ein schönes Weihnachtsfest geht, werdet Ihr sicher auch schon etwas dafür getan haben und auch in der nächsten Woche noch tun. Man kann ja Weihnachten mit all seinem Zauber nicht einfach hinzaubern.
Es braucht Vorbereitung. In der ganzen Adventszeit und schon davor: das Haus wird für den Besuch hergerichtet, die Kinder und Enkelkinder kommen vielleicht von weit her oder man selbst verreist, man muss Besorgungen machen, das ein oder andere Geschenk kaufen.
Auch in unserer Gemeinde: wenn der Kirchenchor und Posaunenchor probt, wenn die Kinder und Erwachsenen das Krippenspiel vorbereiten und ich über die Gestaltung der Gottesdienste nachdenke. So ist das, es braucht Vorbereitung, um ein Fest zu feiern.
Das war schon vor 2000 Jahren so. Von Johannes dem Täufer hörten die Leute, es gäbe bald etwas zu feiern. Im Wortlaut von Matthäus: »Kehrt um, denn das Himmelreich ist nah.« So stellt er eine Wende in Aussicht.
Aber sie müssten’s mit vorbereiten. Mit einer eigenen Wende – weg von dem, was rücksichtslos egoistisch ist. Dann würden sie im Gegensatz zur zerrissenen Welt, Gottes Heil in einer »heilen Welt« zu sehen bekommen (Mt 3,2; Lk 3,6).
Ähnliches konnte sich auch Paulus vorstellen in seinem Brief an die Gemeinde in Rom. Daraus stammt der Predigttext für diesen Sonntag. Er träumt und er hofft auf eine veränderte Welt mit völlig neuen Erfahrungen, eine Welt, in der von allen Seiten nur noch Gott gelobt und ihm gedankt wird. Aber, sagt er, auch das muss vorbereitet werden. Das, worauf wir hoffen, liegt in unsrer Hand.
Wir hören aus dem 15. Kapitel die Verse 4–13.
4 Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben.
5 Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, wie es Christus Jesus entspricht,
6 damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus.
7 Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Ehre.
8 Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Beschneidung geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind;
9 die Heiden aber sollen Gott die Ehre geben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht (Psalm 18,50): »Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen.«
10 Und wiederum heißt es (5.Mose 32,43): »Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!«
11 Und wiederum (Psalm 117,1): »Lobet den Herrn, alle Heiden, und preisen sollen ihn alle Völker!«
12 Und wiederum spricht Jesaja (Jesaja 11,10): »Es wird kommen der Spross aus der Wurzel Isais, und der wird aufstehen, zu herrschen über die Völker; auf den werden die Völker hoffen.«
13 Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes.
Move 2 Liebe deinen Nächsten im Anderssein
Liebe Gemeinde,
wer eine veränderte Welt möchte, der kann nicht warten, dass es von außen kommt, sondern der muss bei sich selbst anfangen. Das sagt Paulus damals zu den sogenannten Heidenchristen, zu denen auch wir gehören würden. Heide ist nämlich in der hebräischen Bibel ein anderes Wort für „Nichtjude“, für einen Menschen, der nicht zum Volk Israel gehört. Und Paulus setzt sich leidenschaftlich für die Heidenchristen ein, was ihm Ärger mit den Jerusalemer Judenchristen einbringt. Stein des Anstoßes ist seine Überzeugung: kein Heide muss erst Jude werden, um Christ sein zu können. Für Paulus zählt vor Gott jeder Mensch gleich: sei er ein Jude oder ein Heide, Mann oder Frau, ein Armer oder ein Reicher.
Paulus ermahnt die heidenchristliche Gemeinde und somit auch uns:
Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, wie es Christus Jesus entspricht, damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus.
Wer meint, das hört sich ein wenig an wie „Friede, Freude, Eierkuchen“, der irrt. Wer meint, es dürfe keine Konflikte geben in einer christlichen Gemeinde und wir müssten immer alle einer Meinung sein, der irrt auch.
Das wäre natürlich irgendwie schön, aber das ist nicht realistisch, denn überall, wo Menschen zusammen leben und miteinander feiern und Gemeinde gestalten, da gibt es unterschiedliche Ansichten.
Paulus hat das auch glaube ich gar nicht gemeint. Wir kennen ihn: Er selbst ist Streitigkeiten nicht aus dem Weg gegangen. »Um des lieben Friedens willen« Strittiges auszuklammern, Konflikte »unter den Teppich zu kehren« führt nicht weiter. Streitigkeiten dürfen aber eines nicht aus dem Auge verlieren: den anderen in seiner Andersartigkeit zu sehen und so zu nehmen und gelten zu lassen, wie er oder sie ist. Ihn weder verbiegen noch klein machen, ihn weder mundtot machen noch links liegen lassen. Respekt und Toleranz sind bei allen Gesprächen wichtig.
Das erinnert an das höchste Gebot: Liebe deinen Nächsten, er ist wie du. Auch wir sind die anderen in den Augen der anderen. Das gilt im Kleinen – in der Familie, in der Schule, in der Gemeinde, in der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz. Und das gilt auch im Großen. In der Sorge für die Hungernden in Ostafrika oder die vielen Flüchtlinge, für die Menschen in Straßburg und anderswo, die Opfer von Anschlägen werden und für die Opfer von Kriegen im Jemen und Syrien und anderswo auf der Welt werden. Da dürfen wir nicht aufhören – in Gedanken, im Gebet, im Teilen und auch nicht dabei, denen eine Stimme zu geben, auf die niemand hört.
Move 3 Jesus hat uns angenommen
Und warum das alles?
Paulus sagt „Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Ehre.“
Liebe Gemeinde, weil Jesus es uns gesagt und vorgelebt hat. Er verlangt nichts, was er nicht selbst getan hätte. Sich gegenseitig anzunehmen, um gemeinsam Gott zu loben. Gott zu danken. Für alles, was mir im Leben geschenkt ist. Das ist das Ziel. Das Lob Gottes.
Als Beschenkte weiß ich: ich bin von Jesus Christus angenommen unabhängig davon, ob ich erfolgreich bin. Ich bin auch in meinem Scheitern angenommen. Und die, um die wir uns bemühen, sind von ihm angenommen, niemand fällt aus dieser Geborgenheit bei ihm heraus – ein Gedanke, der mich tröstet und hilft, es immer wieder zu versuchen, den Nächsten anzunehmen, wie Christus uns annimmt. Und noch eins: Paulus empfiehlt uns das Gebet: das Gebet um den Heiligen Geist, das Gebet um Kraft, Vertrauen und Hoffnung. Immer wieder.
Move 4 Gott der Hoffnung
Kraft, Vertrauen und Hoffnung können wir uns nicht selbst geben.
Kann ich meinen Alltag, mein Leben meistern, kann mich meine Hoffnung tragen? Das ist davon abhängig, wo ich meine Kraftquelle her bekomme. Es ist Gott selbst und unsere Beziehung zu ihm, von der ich abhängig bin. Im Hl. Geist ist Gott mitten unter uns. Er ist es, der uns Freude, Frieden und Glauben schenken kann. Ich kann es nicht selbst vollbringen.
Aber wir können ihm den Weg in unser Herz vorbereiten und ihm die Türen öffnen.
Advent erwarten, darauf zugehen, dem Herrn den Weg bereiten, in der Hoffnung leben und Hoffnung weitergeben. Das haben wir in unserer Hand.
Move 5 Wir haben es in der Hand
Die ersten Christen (und die späteren Adventslieder) haben die Hoffnung auf den neuen Spross aus dem alten Stamm Isai auf Jesus übertragen: »von Jesse kam die Art« (EG 30,1) singen wir an Weihnachten. Mit dem, was wir hoffen, können wir das erweitern: »von Jesus kam die neue Lebensart«. Denn aus seiner Wurzel kommt, was Menschen trotz Auseinandersetzungen wieder zusammenbringt. An ihm Maß nehmen, macht ihn nachhaltig. Darin lobe ich mir Gott.
Es gibt zwar sicher hier und da auch und gerade an Weihnachten Konflikte. Aber es ist »wie Weihnachten, wenn man wieder zusammenfindet, wenn man einander annimmt statt sich übereinander zu erheben oder andere fertig zu machen. Dann kann man die versöhnte Verschiedenheit feiern. Nicht Rechthaberei und Rechtgläubigkeit machen uns Christen glaubwürdig, sondern wie wir auch im Konflikt miteinander umgehen.
»Einander annehmen« ist mehr als freundliches Umarmen, auch wenn das dazu gehört.
Es erfüllt sich, wenn wir mit dem Traum Jesu aufeinander zugehen und uns mit seinen Augen sehen lernen. Das heißt »Gott loben«, weil wir so Gottes Schöpfung in all ihrem Reichtum ehren und bewahren helfen.
Das wird Welten verändern. Und alle Völker vom »Gott der Hoffnung« singen lassen. Das muss rechtzeitig geübt werden. Wir können heute damit anfangen zu praktizieren, was wir hoffen.
„Solange ich atme, hoffe ich“. Und indem wir hoffen, finden wir uns nicht mit dem Gegebenen ab. Der Herr möchte den Weg zu uns finden, es liegt an uns, ob er ankommen und bleiben kann.
Amen