2022-12-18 - 4. Advent (DE) - Pfarrerin Nicole Otte-Kempf

( Phil 4,4-7 ) - [ English ] - [ Akündigungen496.33 KB ]


Ich betrete ihr Zimmer. So eins, wie es viele gibt . Klein, sauber, mit dem Nötigsten ausgestattet: Bett, Schrank, Kommode, ein Tisch und zwei Stühle. Einige Bilder zieren die Wände. Im Bett liegt eine alte Frau. Ihr Gesicht wirkt blass und müde. Sie öffnet kaum die Augen, als ich an ihr Bett trete, um ihr zum Geburtstag zu gratulieren. Ich versuche, mit der Frau zu sprechen. Jetzt blickt sie mich an, etwas skeptisch. Antworten kann sie mir nicht. Ich bleibe einfach bei ihr sitzen. Eigentlich wollte ich ihr zum Geburtstag gratulieren, aber ganz ehrlich, manchmal frage ich mich in diesen Momenten, was ich da eigentlich sagen soll. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag? Von geburtstaglicher Freude ist in dem Raum  jedenfalls nichts zu spüren. Wie kann ich zu der Frau Kontakt aufnehmen?  

Liebe Gemeinde, es gibt diese Momente. Wenn ich einen Geburtstagsbesuch oder einen anderen Besuch mache, weiß ich manchmal nicht, wen ich in welcher Situation antreffen werde. Freut sich der- oder diejenige, dass ich zu Besuch komme? Ist da eine Freude im Raum über den eigenen Geburtstag? Und kann ich es erwarten, dass sich jemand freut? Ich denke nicht. Freude kann ich niemandem vorschreiben. 

Um so mehr bringen mich die Worte des Paulus im Brief an die Gemeinde in Philippi ins Nachdenken. 

Ich lese im Philipperbrief, 4,4-7     

„Freut euch.“ Das sagt er nun so, der Apostel Paulus, freut euch in dem Herrn allewege. Und als könnte er sehen, wie wir immer noch stumm und starr rumsitzen, fügt er an: Und abermals sage ich: Freut euch! 

Verordnete Freude – kann das Freude sein? 

Manchmal will ich mich gar nicht freuen. Manchmal ist mir nach ganz anderem zumute. Das Weihnachtsfest ist ja für viele Menschen ähnlich wie für manch einen der eigene Geburtstag: Da ist so manches in unserem Leben, das gefällt uns nicht, das macht uns Not, und plötzlich soll da ein Fest sein, und plötzlich soll da Freude sein! 

Vielleicht ist Euch heute nicht nach Jubeln zumute. Und dann trifft Euch dieser Satz: Freut euch in dem Herrn allewege. Alle Zeit. Immer. 

Hat da vielleicht einer nicht verstanden, dass es mir gerade nicht gut geht? Dass es überhaupt keinen Grund für mich gibt, vor Freude an die Decke zu hüpfen? Sollen all meine Ängste, Sorgen und Traurigkeiten einfach zugedeckt werden? 

„Freut euch in dem Herrn allewege.“

Der das schreibt, hat auch - gerade äußerlich gesehen nicht viel Grund, sich zu freuen. 

Der Apostel Paulus sitzt im Gefängnis. Ob er freigesprochen oder zum Tode verurteilt wird, das ist noch nicht klar. Finanziell ist er auf die Hilfe seiner Freunde aus der Gemeinde in Philippi angewiesen. Und dem Überbringer gibt er auf dem Rückweg den Brief mit, den wir noch heute als Philipperbrief kennen. 
In diesem Brief will er der Gemeinde Mut und Hoffnung machen. 
Er hat eine Freiheit, er hat einen Grund zur Freude, den andere nicht kennen.
Und der Grund für seine Freude lautet folgendermaßen : "Der Herr ist nahe." 

Advent – der Herr ist nahe. Gott wird Mensch. Bald. Sehr bald. 

Aber nicht nur, weil bald Weihnachten ist, ist der Herr nahe.

"Der Herr ist nahe".- Wenn das Leben gelingt, wenn alles gut geht, wenn wir uns gut verstehen, wenn unsere Pläne gelingen, wenn die Kerzen brennen und die Familie zusammen Weihnachten feiert: 

"der Herr ist nahe" - und freut sich mit uns, freut sich an unserer Freude. 

Und wenn wir Schmerzen haben, wenn wir traurig sind, vielleicht weil einer fehlt, der uns am Herzen lag, oder weil Streit ist oder weil wir das nicht schaffen, was alle von uns erwarten: "der Herr ist nahe" - und leidet mit uns, ist traurig über unsere Traurigkeit. Wir haben einen Gott, der selbst Mensch war, der Ablehnung kennt und müde Füße und durchbohrte Hände. Der nicht über den Dingen der Welt steht, sondern der das Leid kennt. Und wir gerade deshalb: im Gebet unsere Sorgen bei ihm los werden dürfen. Denn bei ihm sind sie in besten Händen. Bei ihm alles ablegen, damit wieder irgendwann Freude in unser Herz einziehen kann.  

Und vor allem: "Der Herr ist nahe" -: Es wird anders! Er kommt uns entgegen. Er bringt eine Freude mit, die alle Freude, die wir kennen, in den Schatten stellt. 

Wir feiern nicht nur die Vergangenheit, wenn wir Weihnachten feiern. Wir feiern auch die Zukunft. "Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird", sagt der Engel den Hirten, und: "euch ist heute der Heiland geboren." Das ist geschehen. Aber da steht auch noch etwas aus. Da ist noch etwas offen, worauf man sich freuen kann. Es geht nicht ins Dunkel - nicht mit meinem Leben, nicht mit Eurem Leben, nicht mit der Welt. Es geht ins Licht.

Und darum: "Freut euch in dem Herrn allewege". Auf den schönen, hellen Wegen - weil sie ein Vorgeschmack dessen sind, was kommt. Und auf den schweren, dunklen Wegen - weil sie ein Ende haben und ein Ziel. 

Ich sitze immer noch im Zimmer der alten Frau. Nach Momenten des Schweigens finde ich Worte, um zu ihr durchzudringen. „Gott ist Ihnen nahe, er ist ganz nah bei Ihnen. An diesem Tag, in dieser Nacht. An allen Tagen und Nächten. Er kennt Sie, Ihre Träume, Ihre Sorgen und Ängste. Wenn Sie einsam sind und sich verlassen fühlen. Wenn keiner Sie versteht: sie können sich sicher sein, dass Gott bei Ihnen ist. Er verlässt Sie nicht und hält Sie und Ihr Leben in seinen Händen.“ 

Ich blicke Sie an – sie blickt mich an. Ihre Augen werden groß – und – sie lächelt – wach. Ich spüre in Ihrem Blick etwas von dem Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft. Der größer ist als alles, was ich mir vorstellen kann.  

Ich erahne, was Paulus meint. Ich weiß, ich kann niemandem vorschreiben: du musst dich freuen. Was ich tun kann ist: von Gottes Nähe erzählen. Ich kann Gottes Nähe durch mich erfahrbar machen. Indem ich einfach für jemanden da bin, wenn er mich braucht. Indem ich seine Hand halte, damit er nicht fällt. 

Eure Güte lasst kund sein allen Menschen. Schreibt Paulus

Indem ich zuhöre, wo kein anderer mehr zuhören mag. 

Indem ich tröste, da, wo Menschen verzweifelt sind. 

So wird Gottes Nähe durch mich, durch uns alle für andere Menschen erfahrbar. Wer Gottes Nähe spürt, liebe Gemeinde, für den und für die ist Geburtstag und Advent in einem – ganz egal zu welcher Jahreszeit. Amen. 

covid 19

Logo and link provide as required by Government Notice No. 417 of the
South African Department of Telecommunications and Postal Services