( Lukas 22,47-53 ) - [ English ]
Thema der Predigt: Wo ist Gott in den Dunkelheiten?
Der heutige Sonntag Okuli. Es geht um die Augen. Ich werde aufgefordert, zu sehen. Die auf Gott sehen, werden strahlen vor Freude. Der biblische Text für die Predigt aber irritiert mich eher, als dass er mir Freude schenkt. Mit diesem Text sind wir am 3. Passionssonntag hineingeschubst mitten in die Passionsgeschichte.
Eine düstere Szene. Es ist Nacht, der Abend der Verhaftung, die Szene im Garten. Aus dem Festsaal mit dem letzten gemeinsamen Mahl und einigen rätselhaften Gesprächen sind sie aufgebrochen, Jesus mit seinen Jüngern. Alle gehen mit – und alle können die Augen kaum offenhalten. Dann werden sie Zeugen der Verhaftung. Das Schlimmste, was sie sich vorstellen können, geschieht.
Ich stelle mich zu den Freunden und Freundinnen und lasse mir das Geschehen vor Augen und Ohren stellen – ich nehme es mir zu Herzen.
So berichtet Lukas im 22. Kapitel seines Evangeliums: Lesen des Textes.
Was die Freunde sehen müssen, erschreckt sie – und mich auch. Wir haben doch schon geahnt, dass es nicht gut ausgehen würde.
Aber ist es nicht auch konsequent? Jesus hatte es ja angekündigt, dass es geschehen würde: dass er ausgeliefert wird, gefangen genommen wird und stirbt. Er geht seinen Weg bis zum Schluss, konsequent und überzeugt; das hat er uns mit seinem Verhalten gezeigt.
Seine Hand an den Pflug legen und das Feld im Blick behalten, das ich bearbeiten muss – das erwartet er auch von seinen Freunden. Von uns. Von unserer Gemeinde. Von allen, die sich in seinen Dienst stellen.
Nicht zurückschauen, nicht um das Alte, Vergangene trauern, sondern auf das Ziel schauen, unbeirrt den Weg nicht aus dem Blick verlieren. Die auf Gott sehen, werden strahlen vor Freude.
Strahlen vor Freude - viele schöne Momente durften die Freunde und Freundinnen mit ihm auf dem Weg erleben. Momente, in denen Gott dabei war, spürbar, erlebbar.
Aber auch andere Bilder sind da. Der zornige Jesus im Tempel, der die Tische umwirft. Die verärgerten Schriftgelehrten, denen es nicht gefällt, dass er sich Zachäus zuwendet. Diejenigen, die ihn drängen wollen, dass er endlich handelt in ihrem Sinn. Er bleibt sich und seinem Weg treu. Die Augen auf das Ziel gerichtet. Er bittet um Kraft, und er weicht nicht aus. Er blickt nicht zurück und biegt nicht ab. Bis das Unausweichliche eintritt. Seine Augen ruhen auf Gott, halten sich an Gott fest, suchen ihn, auch als es dunkel wird.
Und nun: Was muss ich, was müssen seine Freunde in dieser Szene sehen? Da ist der Kuss. Judas, Jesu Freund. Was mag ihn getrieben haben? Worauf richtet er seinen Blick? Ich stelle mir vor, dass Judas ratlos ist. Er hat etwas anderes erwartet, fühlt sich herausgefordert von dem, was Jesus sagt und tut, dass er sich zu den Verlorenen wendet und die Armen und Schwachen unterstützt. Er hatte doch einen starken Mann erwartet, der durchgreift. Er kann sich nicht auf diesen Weg einlassen, blickt zurück auf seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse und entscheidet für sich, dass das nicht der Meister sein kann, dem er folgen will. Vielleicht zu schwach, zu verletzlich, zu gewaltlos. Er nähert sich Jesus, küsst ihn und verrät in diesem Moment eigentlich die Liebe. Sie zeigt denen, die Jesus verhaften wollen, wer der Gesuchte ist.
Entsetzt reißen die Freunde die Augen auf und beobachten, was geschieht. Als sie sehen müssen, dass ihr Freund verhaftet wird, werden sie aktiv: sollen wir das Schwert nehmen, fragen sie, und einer greift schon danach und schlägt einem der Soldaten ein Ohr ab.
Jesus aber bleibt bis zum Ende der Szene der Ruhe ausstrahlende. Er heilt sogar den verwundeten Knecht, wie er zuvor schon so viele Menschen geheilt hat. Er liefert sich denen aus, die ihn gefangen nehmen wollen, und gibt der Situation eine Überschrift: jetzt ist die Stunde der Verfolger – jetzt zeigt sich die Macht der Finsternis. Und er verschwindet aus meinem Blickfeld und dem Blickfeld seiner Freunde und Freundinnen. Andere werden jetzt auf ihn schauen, urteilend und richtend. Ich sehe ihm hinterher.
Was wird mir, was wird uns vor Augen gestellt an diesem Passionssonntag Okuli? Ich sehe Jesus, der mit großer Klarheit den Weg geht, von dem er überzeugt ist. Ich sehe die Freunde, die Angst haben. Ich sehe die Soldaten, die ihrem Auftrag folgen, aber vielleicht gar nicht wissen, was sie tun und welche Rolle sie in diesem Drama spielen. Ich sehe die Düsternis der Nacht und die Unausweichlichkeit eines gewaltsamen Todes. Eine schreckliche, eine bedrückende Szene, die schrecklich und bedrückend weitergehen wird, wie wir alle wissen.
Die auf Gott sehen, werden strahlen vor Freude.
Hat Jesus an diesem Abend, als er seinen Blick im Gebet auf Gott richtete, gestrahlt vor Freude? Immerhin hat er offenbar die Kraft erhalten, seinen Weg fortzusetzen und sich auszuliefern. Aufrecht liefert er sich aus.
Aber – wo ist Gott an diesem Abend? Und wo ist Gott, wenn es in mir finster ist? Wo ist Gott, wenn es finster ist in der Welt?
Manchmal fühlt es sich so an, als sei er nicht da. Meine Augen finden ihn nicht. An Tagen, an denen ich ihn spüre, erscheint mir das Leben hell und licht. Und wenn ich ihn nicht spüre, erscheint mir das Leben dunkel. Ich kann nicht auf ihn sehen und strahlen vor Freude. Die Freude ist mir vergangen, so wie vielen Menschen in den Kriegs- und Krisengebieten, auf den ICUs oder in ihren einsamen Nächten.
Noch einmal schaue ich hin. Schaue mir die Szene an. Vor der Verhaftungsszene betet Jesus im Garten Gethsemane. Und dieses Gebet hat den mutlosen Jesus gestärkt und gestützt. Auch wenn er nicht strahlt vor Freude: er findet zumindest die Kraft zum aufrechten Stand. Das ist viel.
Aufrecht kann er dem Unausweichlichen entgegentreten, geht seinen Weg weiter. Durch das Dunkel hindurch. Vielleicht ahnt oder erhofft er schon das Licht am Ende.
Ich muss durch manches Dunkel hindurch. Und nicht nur ich. Du auch. Und auch unsere Welt. Mich tröstet das Bild im Garten: Gott ist da, auch in der Dunkelheit, so wie er damals da war, auch in der Dunkelheit. Schau hin. Du siehst sein Licht nicht, aber du siehst, wie Menschen sich halten und ihren Weg gehen, die sein Licht spüren. Aufrecht und souverän. Auch in deinem Dunkel ist er da und führt dich hindurch, stärkt dich und gibt dir die Kraft, weiterzugehen. Steh auf, hab Mut.
Amen