( Mt. 13: 24 – 30 ) - [ English ]
Er legte ihnen ein anderes Gleichnis vor und sprach: Das Himmelreich ist gleich einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Da aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. Da nun das Saat wuchs und Frucht brachte, da fand sich auch das Unkraut. Da traten die Knechte zu dem Hausvater und sprachen: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut? Er sprach zu ihnen: Das hat der Feind getan. Da sagten die Knechte: Willst du das wir hingehen und es ausjäten? Er sprach: Nein! auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, so ihr das Unkraut ausjätet. Lasset beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um der Ernte Zeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuvor das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt mir in meine Scheune.
Liebe Gemeinde!
Lady Nancy Astor war die erste Frau, die in England ins Parlament gewählt wurde. Sie ist für ihre scharfe Kritik und ihre unverfrorene Direktheit bekannt und tauschte einige scharfe Kommentare mit Sir Winston Churchill aus. Es wird erzählt, dass sie bei einer Dinnerparty neben Churchill saß, als es zu einer besonders starken politischen Meinungsverschiedenheit kam, was sie verärgerte. „Wenn Sie mein Ehemann wären“, erklärte Lady Astor, „würde ich Gift in Ihren Tee schütten.“ Darauf antwortete Churchill: „Madam, wenn Sie meine Frau wären, würde ich ihn trinken.“
Dieser kleine Vorfall zeigt die Ungeduld, die viele von uns gegenüber Menschen oder Ideen haben, die wir nicht mögen oder mit denen wir nicht einverstanden sind. Wir glauben zu wissen, was richtig ist, und wir sind bereit, jeden schwarz zu schmieren, der anderer Meinung ist. Dies gilt insbesondere für religiöse Menschen, die schnell beschuldigen oder verurteilen. Das ist nichts Neues, denn schon Jesus hat sich bei den Menschen seiner Zeit damit auseinandergesetzt: Pharisäer, die den Kontakt mit Sündern und Unreinen mieden; Zeloten, die sich der römischen Besatzung mit Gewalt widersetzten; die Selbstgerechten, die bereit waren, eine Frau zu steinigen, die beim Ehebruch ertappt wurde; diejenigen, die Jesus wegen seiner Gemeinschaft mit Dieben, Prostituierten und Sündern anklagten und hassten und solche, die sich fast allem widersetzten, was er sagte und tat.
Diese Selbstgerechtigkeit ist genau die Haltung, die Jesus im Gleichnis heute anspricht. Das Himmelreich, sagt er, sei wie ein Mann, der guten Samen auf sein Feld säte. Im Schutz der Dunkelheit kam sein Feind und säte Unkraut. Die Diener fragen sich und den Meister, woher das Unkraut denn kommt: „Wir dachten, er hätte nur gute Saat gesät!“ Er antwortet, dass dieses Unkraut das Werk eines Feindes sei. Es ist interessant, dass dieser Feind weder beschrieben noch definiert wird – sicher damit wir es auch nicht tun. In ihrer Begeisterung, ihm zu dienen, schlugen sie sofort vor, das Unkraut auszureißen. Zu ihrer großen Überraschung antwortet der Meister: „Nein, denn die Gefahr ist zu groß, dass der Weizen zusammen mit dem Unkraut ausgejätet wird.“ Wartet lieber, lasst beides bis zur Ernte zusammenwachsen; dann werden sie getrennt.“ Tatsächlich ist es schwierig, Unkraut und Weizen zu unterscheiden, und das ist ein Teil des Problems. Das Wort im Text für „Unkraut“ ist Zizonia. Dies ist eine Unkrautart, die oft mit Weizen verwechselt wird, da sie beim Wachsen genauso aussieht wie Weizen. Erst zur Erntezeit konnte man den Unterschied deutlich erkennen.
Es ist unsere menschliche Tendenz, das Unkraut jäten zu wollen. Wir können uns die Überraschung sehr gut vorstellen, als die Antwort des Meisters ein klares „Nein!“ war. Lass sie wachsen!“ Die Lösung des Meisters ist anders als bei uns. Statt eines sofortigen Ausjäten des Unkrauts plädiert er für Geduld. „Lass beides bis zur Ernte zusammenwachsen.“
Muss denn die Kirche oder wir als ihre Glieder nicht vor Gott Rechenschaft darüber ablegen, wie wir mit seinem Evangelium gelebt haben, sei es als Weizen oder als Unkraut? Muss das denn nicht regelmäßig überprüft werden? Sollen wir Unkraut einfach wachsen lassen? Es ist kein Zufall, dass unser Gleichnis als Predigttext für heute vorgeschlagen wurde. Der Silvesterabend fordert doch immer am Ende des Jahres eine gesamtgesellschaftliche Bilanz des vergangenen Jahres. Dies geschieht durch Regierungsreden und durch einen Überblick und Urteil aller Unternehmen und Geschäfte im Land. Sollten wir also nicht berichten, wie wir das Unkraut gejätet haben?
„Urteile nicht, damit du nicht gerichtet wirst!“ Genau darum geht es in unserem Gleichnis. Das Unkraut auszureißen bedeutet, über Menschen zu urteilen oder sogar zu verurteilen, die unserer Meinung nach keinen Platz im Reich Gottes haben. Das ist nicht unsere Aufgabe. Das muss nicht unsere Sorge sein. Nur Gott kann ein endgültiges Urteil über einen Menschen fällen.
Das Problem besteht darin, dass wir, wenn wir das heutige Gleichnis betrachten, uns selbst als Weizen und andere als Unkraut sehen und daher das Urteilen über andere. Sehen wir uns eigentlich so, wie wir wirklich sind? Unsere Augen täuschen uns leicht. Wenn wir ein Foto von uns im Spiegelbild eines Schaufensters machen würden, gäbe es ein Bild von uns selbst, vielleicht sogar ein sehr schönes Bild, aber es wird noch viel mehr auf dem Bild sein, dessen wir uns nicht bewusst waren. Der gesamte Inhalt des Fensters wird auch auf dem Foto zu sehen sein. So ist es mit unserem Leben. Wir sehen uns als „Weizen“ und manchen anderen als „Unkraut“. Wir zeigen so leicht mit dem Finger auf andere, wir sehen das Böse außerhalb von uns selbst und erkennen nur schwer, dass in uns auch Unkraut steckt.
Wir sind immer beides, Weizen, aber auch Unkraut. Martin Luther drückte dies auf Latein so aus: „Wir sind „simul justus et peccator“, zugleich Gerechte und Sünder.“ Gott hat uns gerecht gemacht, aber wir leben immer noch und immer wieder als Sünder.
Es ist unsere menschliche Tendenz, das Unkraut ausreißen zu wollen, andere zu beurteilen, indem wir von uns selbst wegweisen und andere beschuldigen. Doch Jesus antwortet mit einem klaren NEIN! Warum denn nicht, können wir fragen?
Das Gleichnis bietet darauf mehrere Antworten. Es zeigt uns zunächst einmal, dass wir Diener nicht wirklich befugt sind, das Unkraut zu jäten. Dieses Verbot fällt uns schwer, weil wir schnell mit dem Urteil über andere sind. Die Diener sind gar nicht in der Lage darüber zu urteilen, wer Weizen und wer Unkraut ist, damit sind sie überfordert! Der Meister weist sanft darauf hin, dass sie nicht fähig sind, zwischen Weizen und Unkraut zu unterscheiden, und wenn sie durch das Feld gehen und Pflanzen ausreißen, werden sie dabei auch Weizen ausreißen und etwas Unkraut zurücklassen. Ist das bei uns nicht so? Wir haben so feste Meinungen über Dinge oder Menschen, darüber, was richtig und was falsch ist, aber oft verbergen diese Meinungen nur Unwissenheit, Vorurteile und eine Selbstgerechtigkeit – mit dem Gedanken: Ich danke dir Gott, dass ich nicht bin wie der. Haben wir den anderen, über den wir urteilen wirklich verstanden und gibt es nicht auch die Möglichkeit einer anderen Meinung? Warum urteilen wir eigentlich so gern und schnell über andere? Die Wurzeln des Weizens und des Unkrauts sind so miteinander verflochten, dass sie nicht getrennt werden können. Und so sagt der Meister: „Nein, versuche es jetzt nicht, es selbst zu tun, urteile nicht über den anderen.“ Dazu bist du nicht in der Lage – überlass das Urteilen mir, wenn die Ernte reif ist!
Zweitens gilt auch hier, was Jesus zu den Pharisäern sagte, als sie wollten, dass er die Ehebrecherin verurteilen sollte. Darauf antwortete er nur: „Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein auf sie.“ Niemand tat es, weil sie erkannten, dass sie selbst nicht ohne Sünde waren, dass auch in ihnen Unkraut steckte. Wenn wir andere verurteilen, verurteilen wir gleichzeitig uns selbst. Wenn es jetzt an der Zeit wäre, alles Unkraut auszureißen, den Weizen vom Unkraut zu trennen, auf welchem Haufen wären wir dann? Gut und Böse vermischen sich, so wie die Wurzeln des Weizens und des Unkrauts miteinander verflochten sind. Wir können sie nicht trennen und darum sollen wir nicht über den anderen richten. Wie wir mit einem Menschen umgehen sollen, der sich schuldig macht oder Böses tut, wird nicht hier, sondern wo anders erklärt. Hier heißt es nur, richtet nicht, urteilt nicht.
Vor uns sehen wir die Jünger, die sich mit Jesus um den Tisch zur Abendmahlsfeier im Saal versammelten. Sie, ja selbst sie, waren ein Haufen Unkraut! Einer hatte bereits zugestimmt, Jesus zu verraten, ein anderer würde ihn bald verleugnen, andere würden ihn im Stich lassen. Dennoch versammelte er sie um sich und nannte sie Freunde. Was für ein Bild von Gottes Geduld! – seine Geduld mit dem Bösen, seine Geduld mit Misserfolgen, seine Geduld mit dem Unkraut, mit dir und mir! Und wenn wir uns an seinem Tisch versammeln, ist es genauso. Wir kommen, nicht weil das Unkraut in unserem Leben ausgerottet wurde oder weil wir rein sind, nur Weizen sind. Wir kommen, weil er geduldig mit uns ist, viel geduldiger als wir es normalerweise miteinander sind.
Das ist der dritte Punkt in unserem Gleichnis. Lasst den Weizen und das Unkraut weiterwachsen, sagt Jesus. Das Unkraut ist nicht unser Problem. Ich habe den guten Samen gesät, sagt er. Ich gebe euch Zeit und Raum zu wachsen. Wir sollen uns auf das Wachsen des Weizens konzentrieren und nicht auf das Unkraut. Mit dem anderen sollen wir geduldig sein. Es ist nicht unser Auftrag das Unkraut auszurotten, sondern stattdessen auf das Wachsen des Weizens zu konzentrieren, darauf, das Jesus uns gerecht gesprochen hat, das ist die gute Saat, die wachsen und Frucht bringen soll – das Gute zu tun und Gott Richter sein zu lassen. Es bedeutet, in seinem Wort zu wachsen und an seinem Tisch zu feiern, wo seine Geduld wie reinigendes Wasser über uns ausgegossen wird. Deshalb sind wir heute an seinen Tisch eingeladen, um an seiner Liebe, Vergebung, Geduld und Reinigung teilzuhaben und als seine gute Saat zu wachsen, gerade auch für den Umgang miteinander und für unseren Weg ins neue Jahr.
Amen